Ärger vorprogrammiert: Wie die Ost-Jungs in die West-Bravo kamen

Werner (Blacky) Hertha

Was für ein Schreck: Werner Hertha und seine Band aus Suhl (DDR) werden 1967 in der westdeutschen Jugendzeitschrift Bravo abgedruckt. Das verspricht ordentlich Ärger. Wie kam es zu diesem Fall – und was waren seine Folgen für die Jungs aus der sozialistischen Bezirksstadt? Die Kopie des Bravo-Berichts steht in unserer Bildergalerie.

 
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Suhl - Vor ein paar Wochen geisterten durch die Medien mannigfaltige Beiträge über die Jugendzeitschrift Bravo und ihr Jubiläum nach 65 Jahren ihres ersten Erscheinens. Auch dabei sind wieder einmal die Jugendlichen im Osten Deutschlands und ihre Befindlichkeiten so viel wie nicht vorgekommen.

Ich bin jetzt 80 Jahre alt und hätte liebend gern in meinen jungen Jahren mindestens ab und zu einen Blick in ein solches Heft gewagt, zumal ich als Leiter einer, damals so genannten, „Jugend-Tanz-Kapelle“ immer Schwierigkeiten hatte, an die englischen Texte der Songs zu kommen, die unser Publikum von uns hören wollte.

Das bisschen Englisch, das unser Gitarrist gelernt hatte, löste die Slangs der damals weltbekannten Musikproduktionen auch nicht auf. Notgedrungen schrieben wir die Texte nach Tonbandaufnahmen lautgetreu auf und sangen sie so gut nach, wie es eben möglich war. Das hat den Zweck erfüllt, richtig zufrieden waren wir selbst damit nicht. Das Publikum sang tüchtig mit, was es im Radio gehört hatte; es war dasselbe, was auch wir auf oft schlechten Tonaufnahmen zu hören glaubten.

Kurzum: Wir wussten von der Bravo, bekamen sie aber ganz selten zu Gesicht, und wenn, dann seitenweise. Im September 1967 – heute weiß ich, dass es das elfte Jahr nach der ersten Bravo-Nummer war – „ereignete sich“ so ein Fall. Seitdem können meine Band-Mitglieder und ich behaupten, bis dahin nie richtig in eine Bravo hinein geschaut zu haben, aber einmal richtig daraus hervor. Mitten in Suhl trat mir ein Teenager im Minirock in den Weg: „Blacky, ich hab was für dich“.

In der Hand hielt das Girl eine aktuelle Zeitschrift Mosaik, damals in der DDR und bis heute eine sehr beliebte Comic-Zeitschrift. Bis heute weiß ich nicht, wie das Mädchen hieß oder heißt, ich kannte sie vom Sehen wie halt Musikanten ihr Publikum kennen.

Sie schlug das Heftchen auf und ich sah eine Seite der Bravo mit einem Foto unserer Kapelle. Als ich danach griff, klappte sie das Mosaik zu und wollte gehen. Nach gutem Zureden durfte ich die Seite noch einmal kurz sehen, dann verschwand die ganze Erscheinung mit einem kessen Gruß.

Nun kann sich heute wohl kaum noch jemand vorstellen, dass ich über die soeben erhaltene Information zwar erfreut, jedoch auch sehr beunruhigt war. Unsere Kapelle hatte schon einige Ermahnungen, Bestrafungen und Auftritts-Verbote hinter sich.

Da konnte es schon nachteilig sein, mit West-Journalisten gesprochen zu haben, denen aus dem dekadenten, kapitalistischen Wirtschaftssystem. Dass der Text zu unserem Foto durchweg erfunden war, konnte ich zwar ganz kurz lesen, ich hatte aber nichts in der Hand.

In „vorauseilendem Gehorsam“ (diesen juristischen Begriff lernte ich viel später kennen) meldete ich den Vorgang dem Direktor des Kulturhauses 7. Oktober Suhl, das zu dieser Zeit unser „Trägerbetrieb“ war.

Der Genosse Heck, ein leutseliger, intellektueller Rheinländer mit dem unkommunistischen Vornamen Christian, war irgendwie in die DDR gespült worden. In guter DDR-Manier redeten sich die „Kulturschaffenden“ alle mit Du an. Zu denen zählten selbstverständlich auch wir Laien-Musiker und Nicht-Genossen.

Wie kam denn eigentlich dieses drapierte Foto, mit sechs Suhler Musikanten auf der Kulturhaustreppe, in weißen Hemden und dunkler Schleife, in die Bravo? 1967 im Juli fand wieder die allseits beliebte „Ostseewoche“ am Nordrand der DDR statt. Dass die ein Gegenstück zur alljährlichen „Kieler Woche“ war, wussten wir nicht. Der Slogan „Die Ostsee muss ein Meer des Friedens sein“ ist ja auch in Ordnung.

Zum Einsatz in diversen Sälen für Unterhaltung und Tanz suchten die „zuständigen Organe“ unter Verantwortung des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) nach Berufskünstlern und „Volkskunst-Kollektiven“, die den Besuchern der Ostseewoche zeigen konnten, einfach gesagt: wie schön es in der DDR ist.

Wie man auf die Jugend-Kapelle „Eldorados“ aus Suhl gekommen ist, kann nur vermutet werden. Wir waren ziemlich bekannt, spielten die „Hits der letzten 150 Jahre“, sahen gut und friedvoll aus, galten vielleicht auch als geläutert.

Wie heute bei Wikipedia zu erfahren ist, lud der FDGB zur Ostseewoche besonders Besucher aus den westlichen Ostseestaaten ein, dazu aus Polen und der Sowjetunion. Wir bekamen das Angebot rechtzeitig. Peter Schneider (Gitarre) hatte Semesterferien, Klaus-Dieter Stocky (Name echt! Schlagzeug), Klaus Scholz und Gerhard Gärtner (Saxophon), Thomas Schoppe (Bass-Gitarre) und ich (Trompete) nahmen Urlaub.

Unsere Unterkunft war eine Schule mit Doppelstockbetten. Vorher mussten wir Fotos einreichen. Daraus machte der FDGB im Bezirk Rostock Plakate und Autogrammkarten. Nach der Wende wollte ich die Bravo mit unserem Foto finden.

Siegrun Schoppe hatte inzwischen die Kopie von einem Schnipsel mit unserem Bild ergattert, kein Jahrgang, kein Datum, keine Heft-Nummer. Die schenkte sie mir laminiert, zum 70. Geburtstag. Einzige Zusatzinformationen: „BRAVO70“, invers gedruckt, und auf der Rückseite sollte etwas mit Winnetou sein.

Die Angelegenheit wurde für mich zum Erfolgsspiel, ich fuhr mit meiner Frau nach Leipzig in die Deutsche Nationalbibliothek. Die hatten das auch schon zu DDR-Zeiten, damals hätte ich die Suche aber nicht gewagt.

Weiter schreibe ich in der Gegenwart: Der Lesesaal strahlt Würde aus, wie in Filmen: ewig lange Tischreihen, grüne Leselampen, kein lautes Wort. Außer uns alle am Laptop. Wir mit einem Wagen, darauf zwei komplette Jahrgänge Bravo. – „Wir sind hier die Dinosaurier!“ – Nach fünf Stunden ist gewiss: darin ist unser Foto nicht.

Wir bestellen hastig den Jahrgang 1967, der kann aber heute nicht mehr bereitgestellt werden. Also Übernachtung. Tags darauf fahre ich meine Frau ins Stadtzentrum und gehe allein zu den grünen Lampen. Ich finde mitten im Stapel ein Stückchen Winnetou. In jedem Heft ist ein Schnipsel, circa 40 Quadratzentimeter, Teil eines Ganzkörper-Posters in Originalgröße zum An-die-Wand-Kleben. So bindet man Leser.

Ich komme zu der Überzeugung, dass die Bravo eigentlich ein geschickt vermarktetes Käseblatt billigster Ausführung ist. Mehr Aufwand kann bei 50 Pfennig je Ausgabe, später 1 DM, nicht erwartet werden. Oft fehlen die Seitenzahlen, wenn sie da sind, in immer wechselnder Darstellung. Das erschwert die Suche.

Endlich ist das Ziel erreicht: Vor 43,5 Jahren gedruckt und von mir für ewige Zeit als unerreichbar empfunden: Unsere Band in Bravo, Heft 34 vom 14. August 1967, Seite: BRAVO|70|. Auf bezahlbare Kopien ist die Nationalbibliothek eingestellt. Ich bestelle die Titelseite und „unsere“ Seite 70.

Daheim beginnt die Suche im Internet nach einem kompletten Heft. Ein Angebot kommt, aber es fehlt eine Seite, schreibt der Anbieter. – Seite 69, Winnetou?! – Nein, die ist da. 15 D-Mark überwiesen, drei Tage später habe ich das Heft. Zum Jubiläum der Bravo und dem Tamtam darum herum fällt mir die Geschichte wieder ein.

Ich grüße alle Musikanten, für die zu DDR-Zeiten oft der Lötkolben das wichtigste Musikinstrument war.

Wer die Bravo im Schulranzen hatte, bekam in der DDR richtig Ärger

Dutzende Zeitschriften gibt es heute im Kiosk-Regal für junge Leser. Wer hingegen in der DDR mit Micky Maus oder Bravo in der Schule erwischt wurde, bekam richtig Ärger.

Westbürger wurden von der SED bereits vor dem Grenzübertritt eindringlich gewarnt, dass die Einfuhr streng verboten ist von: „Zeitungen und andere periodisch erscheinende Presseerzeugnisse, soweit sie nicht in der Postzeitungsliste der DDR enthalten sind; Kalender, Almanache, Jahrbücher ... Literatur und sonstige Druckerzeugnisse, deren Inhalt gegen die Erhaltung des Friedens gerichtet ist oder deren Einfuhr in anderer Weise den Interessen des sozialistischen Staates und seiner Bürger widerspricht.“ Da der westliche Lebensstil generell den Interessen der sozialistischen Diktatur gefährlich werden konnte, gab es also auch keine „normalen“ Magazine aus Westdeutschland. Ausgenommen waren natürlich Druckschriften der Bonner Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), die die DDR allerdings selbst bis zu ihrem Ende finanziert hat.

Offiziell gab es für Generationen von DDR-Jugendlichen nur eine Handvoll Zeitschriften − auf recht schlechtem Papier oder mit mattem Glanz. Sie wurden vom FDJ-eigenen Verlag Junge Welt herausgegeben und waren meistens ideologisch ausgerichtet. Die Auflagen lagen zwischen 500 000 und einer Million. Nur zwei haben bis heute überlebt: Bummi und Mosaik.

ABC-Zeitung : Die älteste Kinderzeitschrift der DDR wurde 1946 gegründet. Die Zielgruppe: Schüler der Klassenstufen 1 bis 3 − also Jungpioniere. Jahrzehntelang waren die Kugelmännchen „Rolli“ und „Flitzi“ in jeder Ausgabe zu finden. 1991 übernahm der Hamburger Bauer-Verlag die Zeitschrift. Fünf Jahre später war Schluss.

Die Schulpost: Sie wurde ebenfalls 1946 gegründet und richtete sich an ältere Kinder und Jugendliche. Es gab darin vor allem Beiträge mit naturwissenschaftlichen Themen, Literaturtipps und Berichte zum allgemeinen Weltgeschehen. 1958 wurde das Heft umbenannt in Rakete, fünf Jahre später in T echnikus. 1990 war Schluss.

F rösi : 1953 wurde die Jugendzeitschrift mit dem Titel „Fröhlich sein und singen“ − nach der ersten Zeile eines Pionierliedes − ins Leben gerufen. Sie war vor allem wegen der bunten Bildgeschichten und Bastelangebote beliebt (und war so dem bis 2017 bestehenden westdeutschen Yps-Magazin vergleichbar). 1965 wurde die Zeitschrift in Frösi umbenannt. Sie wurde 1991 eingestellt. Das Monatsmagazin kehrte 2005 zurück − doch das Comeback scheiterte.

Neues Leben: 1954 erschien die Jugendzeitschrift im A5-Format das erste Mal. Es war die einzige auf junge Leute zugeschnittene Monatsillustrierte der DDR. Obwohl es je rund eine halbe Million Exemplare gab, gehörte das Blatt am Kiosk zur „Bückware“. 1992 erschien die Zeitschrift zum letzten Mal.

Atze: Die kleinformatige Zeitschrift erschien ab 1955 und enthielt propagandistische Bildergeschichten − etwa zur Oktoberrevolution oder zum kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, aber auch aus der ferneren Geschichte, beispielsweise über die deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon. Beliebt waren die unpolitischen Bildergeschichten von „Fix und Fax“ sowie „Pats Reiseabenteuer“. 1991 wurde die Produktion eingestellt.

Mosaik: Als sozialistische Antwort auf West-Comics erschien 1955 das erste Mosaik − mit den drei Helden Dig, Dag und Digedag. Nach einem Streit um die politische Ausrichtung des Heftes stieg deren Schöpfer 1975 aus. Fortan reisten Abrax, Brabax und Califax um die Welt − bis heute. Zu DDR-Zeiten waren die Mosaik-Comics stets Mangelware. Heute werden im Monat etwa 70 000 Exemplare verkauft. Das Mosaik war – bis auf einige wenige Einschübe in den Anfangsjahren – unpolitisch, was auch Teil seines nachhaltigen Erfolges war. Mosaik wurde auch in Finnland verkauft.

Bummi: Ab 1957 erschien diese Zeitschrift für Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Die markante Titelfigur war das aufrecht gehende gelbe Bärchen Bummi. Die Zeitschrift enthielt kindgerechte Bildgeschichten oftmals mit der Titelfigur. Nach dem Mauerfall übernahm der Bauer-Verlag auch diese Zeitschrift.

Die Trommel: Die Wochenzeitung gab es seit 1958 − mit einer Auflage von mehr als einer Million. Sie richtete sich an Thälmann-Pioniere − also ältere Schüler der Klassen vier bis sieben. Das sehr politische Blatt wurde auch direkt in den Schulen verkauft; für zehn Pfennige. 1991 wurde die Zeitschrift eingestellt. Die Abonnenten bekamen kurzzeitig stattdessen die „ Bravo“ − ungefragt. dpa

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