Ackerboden verloren Flächenfraß raubt Bauern Land

Thomas Heigl
Rinderherde im Ebertsgrund. Foto: Michael Bauroth/Michael Bauroth

Die Landwirte im Landkreis Schmalkalden-Meiningen beklagen Bodenverluste im großen Stil. Gerade Ackerboden geht für Straßen, Industriebauten oder Wohnhäuser nahezu unablässig dahin. Ein Trend zum Entsiegeln statt Versiegeln ist nicht in Sicht.

 
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Im Werratal dröhnen in den nächsten Jahren Baumaschinen. Die Stadt Schmalkalden erschließt ein neues großes Gewerbegebiet, in dem Unternehmen vorhandene Arbeitsplätze sichern und neue schaffen. Ein Gewinn für die Wirtschaft, ein Verlust für die Landwirtschaft. „Uns steht dann wieder etwas weniger Boden zur Verfügung“, sagt Astrid Hatzel von der Agrargenossenschaft Schmalkalden-Schwallungen. „So geht das Jahr für Jahr. Es wird schwieriger.“

Dabei ist Schmalkalden-Meiningen ein Landkreis mit einem Landschaftsraum, in dem es jede Menge Natur gibt. Viel grüner geht es kaum. Mit 125 000 Hektar ist er einer der großen Verwaltungseinheiten – in Thüringen, aber auch in Deutschland. Gut 60 000 Hektar sind mit Fichten, Buchen und anderen Bäumen bewachsen: Einen Forstanteil von 50 Prozent haben nicht allzu viele Kreise zu bieten. Heide, Moore und Sümpfe sind kaum vorhanden. Neben den Wäldern gibt es einen weiteren Grüngürtel, der sich um das Ziegelrot der Ortschaften schmiegt: Flächen von mehr als 49 000 Hektar, die für die einen einfach herrliche Flur, für die anderen Betriebsgelände und Produktionsmittel sind. Landwirtschaftliche Flächen eben, auf denen die Bauern pflügen, säen und ernten, Heu machen oder Vieh weiden lassen. Mit etwas mehr als 123 000 Einwohnern ist der Kreis zudem ein dünner besiedelter Kreis, im ohnehin nicht so bevölkerungsreichen Thüringen. In den vergangenen Jahren ist es noch etwas menschenleerer geworden, die Kommunen verlieren praktisch unentwegt Einwohner.

Doch die Siedlungsfläche ist permanent gewachsen. Alleine die Verkehrsfläche bedeckt 5 378 Hektar. Auf die Kreisstraßen entfallen alleine eine Million Quadratmeter, etwa 150 Fußballfelder. Dass sich die Kilometerzahl seit 1990 verdreifacht hat, hängt jedoch nicht mit Neuerschließungen zusammen, sondern mit der Abstufung von Landesstraßen. Anders ist das bei den Autobahnen, hier ist durch Neubau jede Menge Scholle versiegelt worden.

Doch während hier möglicherweise das Ende erreicht ist, geht es an anderer Stelle weiter. Der Wohnungsbau schluckt jedes Jahr einige Hektar Land, der Industriebau, mit Unterbrechungen, ebenso. Das alles geht fast ausschließlich zulasten der Landwirtschaft.

Der Thüringer Bauernverband weist seit Langem auf die Problematik hin. „Die Eindämmung des Bauens auf der grünen Wiese und der damit einhergehenden negativen Auswirkungen auf Klima, Umwelt, Biodiversität und betriebswirtschaftliche Grundlagen ist seit vielen Jahren eines der wichtigsten Themen der Landwirtschaft“, sagt Verbandssprecher Axel Horn.

„Mehr als wohlfeile Worte“

Wenn hierzulande fruchtbare Ackerflächen zugebaut oder aus der Produktion genommen werden müssen, sodass sie nicht mehr für den Anbau von Lebensmitteln zur Verfügung stünden, müsse in anderen Teilen der Welt neues Ackerland durch Rodungen erschlossen werden. Umwelt und Klima zählten letztlich zu den großen Verlierern. „Die Eindämmung des Flächenverbrauchs bedarf mehr als wohlfeiler Worte“ betont Horn, der die Politik in der Pflicht sieht.

Die Flächenversiegelung, also die tatsächliche Bebauung des natürlichen Bodens, werde statistisch nicht erfasst, schreibt das Landwirtschaftsministerium auf Anfrage der Redaktion: „Das Fehlen belastbarer Statistiken im Zusammenhang mit der Flächenversiegelung ist uns als Problem bewusst.“

Neben der Inanspruchnahme für Siedlungs- oder Verkehrszwecke seien auch Nutzungen im Zusammenhang mit dem Naturschutz und Ausgleichsflächen denkbar. Das Ziel der Landesregierung sei, die Flächeninanspruchnahme in Richtung „Netto-Null“ zu reduzieren. Bereits im aktuellen Landesentwicklungsprogramm Thüringen 2025 würden entsprechende Leitvorstellungen formuliert und Erfordernisse der Raumordnung festgelegt. Dabei komme eine Doppelstrategie zur Anwendung: Stärkung der Innenentwicklung und Begrenzung der Flächen-Neuinanspruchnahme im Außenbereich (Freiraum).

Bauernverbandssprecher Horn wiederum betrachtet die Angaben der Landesstatistik als zuverlässig. Und liegt damit wohl nicht so falsch. „Wenn auf zehn Hektar Straßen gebaut werden, verliert die Landwirtschaft gewöhnlich 20 Hektar“, erklärt Astrid Hatzel. „Denn auf der Zusatzfläche wird ein so genannter Ausgleich für die Eingriffe in die Natur geschaffen, werden etwa Hecken gepflanzt. Man spricht dann von Aufwertung, höherer Biodiversität. Aber für uns ist es Landverlust.“

Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte beschreibt sie mit einem Wort: „Wahnsinn.“ Es werde ständig zugebaut. Hier ein Eckchen, dort eine größere Fläche. Man müsse sich nur mal umschauen, mit früher vergleichen. Besonders heftig schlugen die Gewerbegebiete und etwa der Bau der Ortsumgehung Mittelschmalkalden ins Kontor. Grünland solle nach einem EU-Gebot übrigens nicht der Nutzung entzogen werden. Es gebe ohnehin unterschiedliche Wertigkeiten. Waldfläche gelte als besonders kostbar. Grünland rangiere aus ökologischer Sicht dahinter. Für Landwirte ist der Ackerboden sehr wertvoll. Sie wünsche sich sehr, dass mit der Ressource Land viel sparsamer umgegangen werde, sagt die Chefin der Agrargenossenschaft.

Im Landratsamt Schmalkalden-Meiningen verweist man auf die bei den Gemeinden liegende Planungshoheit. „Die ist per Grundgesetz garantiert“, sagt die zuständige Fachbereichsleiterin Jana Schreiber. Kommunen müssten die Möglichkeit haben, sich erweitern zu können, um nicht noch mehr Einwohner zu verlieren. Immerhin gibt es zaghafte Versuche zur Umkehr. „Revitalisierung von Brachflächen“ steht beim Landwirtschaftsministerium im Förderplan. Ungenutzte oder versiegelte Flächen werden im Rahmen dieses Förderprogramms zunächst beräumt, entsiegelt und danach neugestaltet. Interkommunale Kooperation spielt eine wichtige Rolle. Die Stadt Schmalkalden und die Großgemeinde Floh-Seligenthal haben davon Gebrauch gemacht. In Kleinschmalkalden wird die Industriebrache des Friedrichswerkes renaturiert. Ein bisschen Kompensation für den Flächenfraß, den das neue Gewerbegebiet im Werratal verursacht.

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