Erdogans Lieblingsclub ist Basaksehir Istanbul, Fan ist er jedoch auch von Fenerbahce. Und der von Kritikern als Despot bezeichnete Präsident der Türkei spielt in der Vita Özils eine nicht unerhebliche Rolle. Der umstrittene Erdogan war der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge im Sommer 2019 Trauzeuge bei dessen Hochzeit.
Ein echtes Politikum waren indes Aufnahmen mit dem Politiker zwei Monate vor der WM 2018. Im Rahmen eines Charity-Dinners ließen sich Özil und sein damaliger Nationalmannschaftskollege Ilkay Gündogan mit Erdogan ablichten. Erdogans Partei verbreitete mitten im türkischen Wahlkampf diese Bilder werbewirksam.
Noch während des schwelenden Skandals um Eitelkeiten, Missverständnisse und Rassismusvorwürfe verkündete Özil eine Woche nach dem WM-Finale seinen Rücktritt. Mittlerweile haben sich der Weltmeister von 2014 und der DFB wieder etwas angenähert. Verbandsboss Fritz Keller hat sich vor Kurzem in einem persönlichen Brief an ihn gewendet.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, selbst ein großer Fenerbahce-Fan, sagte am Montag in Ankara bei einem Treffen mit seinem Amtskollegen Heiko Maas an den Deutschen gerichtet: "Ich hoffe, dass ihr nicht wieder etwas dagegen habt, wenn sich Mesut mit unserem Präsidenten trifft, Heiko."
Maas wünschte Özil "sportlich alles Gute, aber ich wünsche natürlich auch, dass er sich in Istanbul wohl fühlt", sagte der deutsche Außenminister und ergänzte später: "Für seinen sportlichen Erfolg ist vor allen Dingen wichtig, dass er viel mit seinem Trainer spricht." Sein türkischer Amtskollege befand, der Wechsel des "Weltstars" habe "alle in Aufregung versetzt".
Eine verbandspolitische Aussöhnung ist also greifbar. Ob es auch zu einer sportlichen kommt? "Özils kreativer Geist stand nie in Frage, aber seit Jahren steht er wegen seiner (mangelnden) Bereitschaft, auch ohne den Ball seinen Job zu machen, in der Kritik", urteilte der "Daily Mirror".
Unter Fenerbahce-Fans löste der Wechsel des teuren Kickers, der aber für seinen Umzug auf Geld verzichten soll, erst einmal Euphorie aus. Die Zeitung "Milliyet" schrieb, eine "Fußball-Marke" komme nach Istanbul. Özil ist jedoch ein zwiespältiges Label. Er hinterlasse in London ein "widersprüchliches und komplexes Erbe", schrieb Sky Sports. Für mehr Eindeutigkeit kann Özil nun in Istanbul sorgen.
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