Leerstand Was lange währt: Abriss wegen Gefahr im Verzug

Doris Hein

Leerstand und Verfall von Immobilien – das ist nicht nur in Lauscha seit Jahren ein Thema, das die Gemüter bewegt. Der Abriss wegen „Gefahr im Verzug“ ist dann oft die beste Lösung.

 
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Lauscha - So präsentierte sich auch die Situation beim Wohnhaus Tierberg Nummer 30 in der Glasbläserstadt. Seit Jahren leerstehend, Wind und Wetter ausgesetzt, die erfolgreich einen Schiefer nach dem anderen lockerten und so eine Gefahr für Anwohner und Passanten darstellten. Im Frühjahr 2021 schritt deshalb das Landratsamt Sonneberg mit einer Ersatzvornahme zur Tat, sprich: zum Rückbau des Mehrfamilienhauses.

Es war keine leichte Aufgabe, die der Firma Gaus aus Unterwellenborn da bevorstand. Am Hang gelegen, zugänglich nur von der Straßenseite „Tierberg“ aus. Von der tiefer gelegenen Perthenecke betrachtet, weitaus größer, als es vom Tierberg aus den Anschein hatte. Eben eines der typischen Lauschaer Häuser, die in Ermangelung von ausreichend Platz im Tal an den Berg „geklebt“ wurden.

Als Baujahr weiß Klaus Leipold-Büttner, einer, der sich in Lauschas Historie bestens auskennt, das Jahr 1864 zu nennen. Damals, als die Häuser im Ort noch der Reihe nach durchnummeriert wurden, bekam es die Hausnummer 202. Als Bewohner sind 1906 Friedrich und Eduard Kirchner aufgeführt. 1933 stehen im Melderegister für den Tierberg 30 bereits vier Namen: Anton, Eduard und Erich Kirchner sowie Anton Luthardt.

Günther Heß, der einst ebenfalls dort gewohnt hat, erinnert sich: Es war zunächst ein einstöckiges Haus. Als die Zahl der Bewohner wuchs, wurden in den dreißiger Jahren zwei weitere Etagen aufgestockt. Den Unterschied habe man schon an den Fenstern gemerkt – unten waren sie klein, in den oberen Etagen „ordentlich“.

Opa Anton Kirchner war der Verwalter und teilte die eingehende Miete vor Weihnachten immer auf die Geschwister auf. Zwischen neun und 15 Mark betrug damals die Miete für eine Wohnung. Günther und seine Familie haben zuerst in der Perthenecke gewohnt, auf kleinstem Raum.

„Als auf dem Tierberg etwas frei wurde, sind wir hingezogen“, erzählt er. Sie waren eine typische Glasbläserfamilie. Bis Weihnachten mussten alle im Akkord arbeiten. „Vater hat aufgeblasen, Oma hat ‚weggezerrt‘ und ‚fertiggemacht‘ – also die Rohlinge gefertigt und die Dekoration der Produkte übernommen“, erinnert sich Günther.

Nach Weihnachten, wenn die Auftragslage einbrach, wurde in einer der Lauschaer Fabriken gearbeitet. Nach und nach konnte man die Geschwister auszahlen und so das Haus sein Eigen nennen. Dann ging es endlich an die dringend erforderlichen Arbeiten am Haus. So gab es etwa am Eingang einen Wasserhahn, aber keinen Abfluss. In Eimern wurden Wasser und Abwasser die Treppen hinauf und hinunter befördert, bis nach Jahren endlich mit gebrauchten Rohren eine Wasserleitung im Haus und eine weitere fürs Abwasser in Richtung Perthenecke eingebaut werden konnten. Ganz unten im Gebäude befanden sich der Stall mit den Ziegen und ein Gewölbe für die Kartoffeln. Später dann das Waschhaus mit eingemauertem Trog… Räumlichkeiten, die beim Abriss noch einmal deutlich zum Vorschein kamen. Auf dem Boden wurden Tauben gehalten.

Fenster und Teile des Daches hat Günther als Schulkind selbst gestrichen, von einer Leiter aus, soweit man eben hinkam. „An der Bruchsteinmauer haben wir drei Pfeiler errichtet, die das Haus stützen sollten“, weiß er noch. Und dass für den einen der Schornsteine ein Pfeiler aus Backsteinen als Stütze aufs Betonfundament gebaut wurde, damit der Schlot nicht durchbrach, weil er die Last nach dem Aufstocken nicht mehr tragen konnte. Wenn Samstagmittag die Schule zu Ende war, machte er sich oft mit dem Handwagen auf den Weg, etwa um beim Mähen der Wiese zu helfen.

Später ist Günther mit seiner Ehefrau Helga ins Haus ihrer Vorfahren neben der Kirche gezogen – und hat auch hier jede Menge an- und umgebaut. Das Haus auf dem Tierberg hat Erich Madalschek mit seiner Familie übernommen…

Schließlich stand es viele Jahre leer. Eben bis zum Zeitpunkt des Abrisses.

Der Großgerätebagger aus dem Unstrut-Hainich-Kreis sorgte Ende April bereits bei der Anfahrt für Aufsehen. Fast schon Millimeterarbeit war notwendig, um das Monstrum vom Hüttenplatz bis zum Einsatzort zwischen den Häusern hindurchzujonglieren. Dann war für die Folgewochen kein Durchkommen mehr für Fahrzeuge aller Art. Kein Wunder, für solcherart Technik wurden die Straßen auf die Berge früher eben nicht konzipiert.

Rückwärts fuhren die Lkws den steilen Weg bis zur Baustelle, um von dort Schutt und Holz abzutransportieren. Hochachtung vor allen, die mit dem Abriss zu tun hatten! Die Lage am Hang und die Nähe zu den Nachbargebäuden machten die Arbeiten nicht leicht. Staub- und Lärmemissionen zu vermeiden, war nicht immer möglich, auch wenn sich die Arbeiter der Unterwellenborner Firma redlich mühten und bei Wind und Wetter zugange waren, um die Zeit der unvermeidlichen Straßensperrung möglichst kurz zu halten.

Im Anschluss überprüfte ein Statiker die Situation vor Ort, um notwendige Arbeiten zur Absturzsicherung einzuschätzen und zu planen, denn schließlich hatte das Gebäude bis dahin den Hang und die hangseitige Mauer zur Straße gestützt.

Nun endlich konnte die Stadt mit zwei Sicherungsmaßnahmen einen Schlussstrich unter die umfangreichen Arbeiten an dieser Stelle setzen. So wurde die Firma Wächter aus Lichte beauftragt, den Hang an der Stelle des einstigen Wohnhauses aufzuschütten, quasi auf dem Fundament des Gebäudes, denn die Bruchsteinmauer steht noch. Auf diese Weise wurde die Böschung stabilisiert. Anstelle der Lücke im Geländer, das hangseitig die Straße begrenzt, wurde durch die Firma Wolfschmidt aus Heldburg als Verbindungsstück ein Stahl-Holz-Geländer eingefügt. Die Kosten für diese beiden Maßnahmen betrugen 5049,22 Euro, informierte das Rathaus.

Der Ausblick für die Anwohner ist inzwischen natürlich schöner. Ein Blick auf Lauschas Berge anstatt auf ein einsturzgefährdetes Nachbarhaus – das hat schon was. Auf jeden Fall sei sie froh, dass sie nun nicht mehr bei jedem Wind Angst haben müsse, dass weitere Schiefer vom Haus fallen und womöglich einen Passanten treffen, betont etwa Marion Geißler. Mit dieser Meinung ist sie nicht allein.

Auch die Bewohner der umliegenden Häuser in der Perthenecke haben die Arbeiten genau verfolgt und sind froh, dass nun Ruhe eingekehrt ist. Noch lieber allerdings wäre es allen, hätte die Stadt ein wenig mehr Geld in die Hand genommen und das Geländer an der Hangseite passend zum restlichen Bestand gebaut. Denn so, wie es jetzt ausschaut, sei es noch immer eine Gefahr, besonders für Kinder…

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