70 Jahre Freies Wort Farbtupfer am Himmel über Suhl

Zum Jubiläum von Freies Wort kommt die Hochseiltruppe Geschwister Weisheit nach Suhl. Es ist ein Wiedersehen nach 35 Jahren.

 
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„Unsere hohen Erwartungen wurden mit dem diesjährigen Auftritt weit übertroffen. Die sensationellen Auftritte der Weisheits in Suhl fanden damit eine gelungene Fortsetzung“: Die Messlatte im Verlag Freies Wort lag ganz offensichtlich noch höher als das Seil, das die Artisten über den Platz der Deutschen Einheit gespannt hatten. Ob sie davon vorher wussten oder nicht: Vor den Augen von „100.000 begeisterten Zuschauern“ – so heißt es in dem Dankschreiben des damaligen Verlagsdirektors Harry Endter – vollführten sie im Jahr 1984 bei einem der legendären Pressefeste der Zeitung so waghalsige Aktionen, dass Endter ihnen hinterher überschwänglich mitteilte: „Die vier sensationellen Auftritte der Hochseiltruppe Geschwister Weisheit haben wesentlich dazu beigetragen, daß sich unser 29. Pressefest wiederum zum größten kultur-politischen Ereignis im Bezirk Suhl gestaltete.“

Mehr Lob geht kaum. Klar, dass die nächste Einladung auf dem Fuße folgte: Zu insgesamt drei Pressefesten ist die Gothaer Großfamilie in den Achtzigerjahren nach Suhl gekommen, zuletzt 1987, und dieser Auftritt sollte ihr bis dato letzter in der Stadt bleiben. Nun, genau 35 Jahre später und zum 70. Geburtstag von Freies Wort, kehren die Geschwister Weisheit zurück. Am ersten Juli-Wochenende werden die Hochseilkünstler an drei Tagen mehrere Shows zeigen. Rudi und Edeltraud Weisheit, die ehemaligen Geschäftsführer des Familienunternehmens, erinnern sich daran, in Suhl stets mit offenen Armen und sehr herzlich aufgenommen worden zu sein. Edeltraud denkt zurück: „In Suhl waren die Auftritte wie ein Heimspiel. Thüringen ist eben Heimat. Die Atmosphäre war ganz familiär und unsere Vorstellungen jedes Mal gut besucht. Hier hat unsere Arbeit immer richtig Spaß gemacht.“

Die Wurzeln ihrer Familie liegen in Zella-Mehlis. Dort zogen die Geschwister Weisheit zum 100-jährigen Stadtjubiläum 2019 drei Tage lang die Blicke ihrer Zuschauer gen Himmel und plauschten bei der Gesprächsrunde „Auf nen Kaffee mit…“ mit Bürgermeister Richard Rossel – natürlich auf du und du. Und Rossel deckte gleich zu Beginn auf: „Peter Mario Weisheit hat viele Gespräche geführt mit den Menschen in der Stadt. Und wir beide haben festgestellt: Du bist eigentlich mit allen verwandt hier.“ Peter Mario eigene Erinnerungen an die kleine Stadt im Süden Thüringens setzen sich vielmehr aus Bildern in seinem Kopf zusammen. Wenn sein Großvater die Vergangenheit in Erzählungen aufleben lassen hat: „Da habe ich mich als kleiner Junge in Zella-Mehlis zu Hause gefühlt.“

Dieses Gefühl dürften ihm die Zuschauer auch jetzt noch vermittelt haben. Zum Stadtjubiläum hätten sie ihm ein Mehlser Gedicht über seine Familie vorgetragen, erzählte Peter Mario Weisheit damals unserer Zeitung. Und jemand habe alte Fotos mitgebracht, die er selbst noch nicht kannte. Die Geschwister Weisheit: Es gibt wohl kaum jemanden in der Region, der ihren Namen nicht kennt – ob Alt oder Jung. Denn immerhin sind die Hochseilkünstler bereits seit über 120 Jahren und derzeit in sechster Generation unterwegs, auch immer wieder in Südthüringen, vergangenen Sommer in Ilmenau oder Schmalkalden.

Heute freilich sind es nicht mehr Rudi und Edeltraud Weisheit, die mit atemberaubenden Kunststücken in luftigen Höhen aufwarten, sondern neben ihren Söhnen André und Peter Mario mit seiner Frau Heike, die allesamt zur vierten Generation gehören, auch deren Kinder und Enkel. In Suhl werden gar die Jüngsten – Charly (10), Lenny (9) und die vierjährige Ruby – zeigen, was sie schon auf dem Seil können, kündigt Susanne Weisheit an, die die Pressearbeit macht.

Zum Jubiläum von Freies Wort plant die Truppe mehrere Highlights für ihr Publikum. Dazu gehört, ganz klassisch, die Hochseilshow. Zwölf Artisten werden mit Fahrrädern, Einrädern, dem Hocheinrad und ihrem Steigerrad das Seil überqueren – wie zu erwarten, natürlich nicht nur einfach so. Zweimannhoch soll es sein oder frei auf Stühlen stehend oder mit der Fahrrad-Spagat-Pyramide. Der Höhepunkt dieser Show ist die Fünf-Personen-Pyramide, die die Geschwister Weisheit nach eigenen Angaben als einziges Hochseilensemble der Welt unter freiem Himmel präsentieren.

Gefühlt fast dort, in 62 Metern Höhe, werden Natalia und ihr Bruder Alexander Weisheit, die zur fünften Generation gehören, auf dem „höchsten Artistenmast der Gegenwart“ Kraftakrobatik präsentieren und dabei auf einem Bein oder den Händen stehen. Übrigens: Natalia Weisheit soll die einzige Frau sein, die auf einem bis zu fünf Meter schwankenden Mast dieser Höhe arbeitet. Höhepunkt der Darbietung und Markenzeichen der Geschwister Weisheit seit über 60 Jahren ist das Trompetensolo, das frei auf dem Mast stehend geblasen wird.

Beim historischen Programm „Anno dazumal“ entführt die Familie ihre Zuschauer in das Flair der Straßen- und Hochseilartistik um die Jahrhundertwende. Mit Drehorgelmusik und Sprechtütenmoderation erwecken die Weisheits den Beginn ihrer Tradition auf einem vier Meter hohen Seil zum Leben. Rauf geht‘s mit einem Veloziped – riesiges Vorderrad, klitzekleines Hinterrad -, mit holländischen Holzschuhen oder in einem Silberreif laufend. Sogar ein Eierkuchen wird da oben gebacken.

Wer noch mehr Action will, schaut sich die Motorradshow an. Hoch über dem Suhler Herrenteich werden drei 14 Millimeter starke Stahlseile nebeneinander gespannt sein, erklärt Susanne Weisheit. Von der einzigartigen Motorrad-Hochstartanlage fahren drei KTM-Maschinen von zwölf bis in 40 Meter Höhe. Zehn Artisten zeigen akrobatische Höchstleistungen auf und unter den Fahrzeugen: Per Kraft ihrer Zähne, im Handstand, in der Stützwaage oder in der Motorradpyramide mit vier Artisten an einer Maschine. Garantiert abenteuerlich werden die Crossfahrten auf Hinterrädern und die Überholungsrennen in der Luft.

Über den Auftritt der Hochseilkünstler im Jahr 1984 heißt es in dem Schreiben des Verlagsdirektors, die Darbietungen, „kühne artistische Meisterleistungen“, seien eine „großartige Bereicherung des Pressefestes“ gewesen. „Auf Wiedersehen in Suhl!“ – das gilt damals wie heute. Und Susanne Weisheit betont: „Wir freuen uns schon sehr auf Suhl.“

Aus der Familiengeschichte

Die Geschichte der Artistenfamilie Weisheit reicht weit zurück. Im Jahr 1900 bereits hängte Friedrich Wilhelm aus Mehlis seinen Beruf als Büchsenmacher an den Nagel, um mit seiner Frau die Welt zu erobern. Die nachfolgenden Generationen machten weiter, kämpften sogar erfolgreich gegen das Berufsverbot, das ihnen in der DDR 1963 auferlegt wurde – wegen Dilettantismus, so die Begründung zu jener Zeit: Rudi Weisheit, Friedrich Wilhelms Enkel, war auf einem Turm von drei Stühlen auf wackelndem Mast balanciert, seine Schwester Marlis ein 30 Meter hohes Schrägseil ohne Netz nach unten gelaufen und hatte darauf einen Spagat gemacht. So erzählt es Rudi Weisheit in der MDR-Zeitreise. Die Familie wollte sich ihre Auftritte nicht verbieten lassen und suchte die Funktionäre in Berlin auf. 1964 schon war die Sache vom Tisch. Übrigens war es auch Rudi Weisheit, der zwanzig Jahre später als erster Artist überhaupt den Kunstpreis der DDR erhielt, die höchste Auszeichnung für Künstler. Heute gehören zu den Preisen, die die Familie gesammelt hat, etwa die Ehrenmedaille der Artistik in Gold, der Thüringer Verdienstorden und der Sonderpreis der internationalen Jury beim 35. Zirkusfestival in Monte Carlo, wie sie auf ihrer Internetseite auflisten. Tourneen führten sie bis nach Italien, Spanien, Rumänien oder Thailand und in diesem Jahr in die Beneluxstaaten. Heute sind es Peter Mario und André Weisheit, Rudis Söhne, die sich um das nach eigenen Angaben größte Hochseilensemble in Europa kümmern.

Auftritte der Geschwister Weisheit zum Geburtstag von Freies Wort in Suhl

Eintritt frei

Freitag, 1. Juli:

  • Platz der Deutschen Einheit/Herrenteich:

15.30 bis 15.45

21 bis 21.15 Uhr

Samstag, 2. Juli:

  • Platz der Deutschen Einheit/Herrenteich:

10.30 bis 11 Uhr

12.30 bis 12.45 Uhr

22 bis 22.30 Uhr

  • Mühlplatz (Historisches Programm "Anno dazumal"):

17 bis 17.30 Uhr

Sonntag, 3. Juli:

  • Platz der Deutschen Einheit/Herrenteich:

10.30 bis 11 Uhr

15 bis 15.30 Uhr

>> Das komplettte Programm des Festwochenendes finden Sie hier >>

 

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