3500 Jahre alte ägyptische Mumie Kadaver-Krampf im Todeskampf: Das Rätsel der „schreienden“ Mumie

Markus Brauer

Zwei Forscher haben einen 3500 Jahre alten ungeklärten Todesfall neu aufgerollt – die „schreiende“ Mumie einer ägyptischen Frau. Warum ist ihr Gesicht zur Fratze verzerrt und der Mund aufgerissen? Über eine spannende medizinisch-kriminologische Spurensuche.

 
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Grausiger Anblick: Diese Mumie einer vor rund 3500 Jahren gestorbenen Ägypterin gibt wegen ihres Gesichtsausdrucks Rätsel auf. Schreit sie etwa noch im Tod? Foto: © Sahar Saleem/CC-by 4.0

Am 4. November 1922 stieß der britische Archäologe Howard Carter im Tal der Könige – fünf Kilometer nordwestlich der oberägyptischen Stadt Luxor – auf eine steinerne Treppenstufe. Carter war, ohne es zu diesem Zeitpunkt zu ahnen, auf das (fast) unberührte Grab des ägyptischen Pharaos Tutanchamun aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. gestoßen. Wie die Leichname anderer Pharaonen war auch der jugendliche Herrscher einbalsamiert worden. 

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Die „schreiende Mumie“ von Semnut

Für die alter Ägypten war die Konservierung des Leichnams eine wichtige Voraussetzung, um ins Jenseits zu gelangen. Vor allem hochrangige Tote wurden einer aufwendigen Einbalsamierung unterzogen. Unter den unzähligen Mumien, die gefunden wurden, gibt vor allem die „schreiende“ Mumie von Senmut bis heute Rätsel auf.

Die „schreiende Mumie“ CIT8 bei der Untersuchung im Computertomografien Foto: © Sahar Saleem/CC-by 4.0

Die rund 3500 Jahre alten Überreste einer ägyptischen Frau waren im Jahr 1935 in der Nekropole Deir El-Bahari nahe der alten Königsstadt Luxor entdeckt worden. Sie befand sich in einem mit Bemalungen verzierten Holzsarkophag unter dem Grab des Architekten Senmut. Dieser Oberaufseher war wohl ein Geliebter der Pharaonin Hatschepsut. Die unter seinem Grab bestattete Frau mit der Bezeichnung CIT8 aber blieb eine Unbekannte.

Die beiden Ägyptologen Sahar Saleem von der Universität Kairo und Samia El-Merghani von der ägyptischen Archäologiebehörde haben die „schreiende“ Mumie nun genauer untersucht. Ihre Studie ist im Fachjournal „Frontiers in Medicine“ erschienen.

Mund weit aufgerissen wie zum Schrei

Das Rätselhafte an diesem Fall ist nicht nur der Ort der Beisetzung der nahezu perfekt erhaltenen Mumie, sondern auch ihr ungewöhnlicher Gesichtsausdruck. Anders als bei den meisten Mumifizierten ist der Mund der Frau nicht geschlossen und durch Kinnbinden gesichert, sondern weit aufgerissen wie zu einem Schrei.

„Er könnte darauf hindeuten, dass diese Frau bei ihrem Tod vor Qualen und Schmerzen schrie.“ Foto: © Sahar Saleem/CC-by 4.0

„Bisher wurde ein offener Mund nur bei zwei anderen Mumien gefunden“, erklären Sahar Saleem und Samia El-Merghani:

  • Zum einen handelt es sich um einen Prinzen aus der 20. Dynastie, bei dem eine schlecht durchgeführte Einbalsamierung schuld war.
  • Zum anderen ist der Fall von Prinzessin Meritamun aus der 18. Dynastie dokumentiert, die durch einen Herzinfarkt starb. Weil die Leichenstarre noch nicht abgeklungen war, wurde der Gesichtsausdruck der sterbenden Prinzessin quasi mitkonserviert.

Warum schreit Mumie CIT8?

Doch warum „schreit“ Mumie CIT8? Mithilfe eines Computertomografen führten Saleem und El-Merghani eine virtuelle Autopsie durch und analysierten Proben von Haut, Haaren und Perücke der Toten.

Die sorgfältig gearbeitete, aus dunkel gefärbten Pflanzenfasern bestehende Perücke, hier im Röntgenbild zu sehen, deutet auf einen hohen Stand der Toten hin. Foto: © Sahar Saleem/CC-by 4.0

Die Untersuchungen zeigten, dass nicht etwa eine unzureichende Einbalsamierung vorgenommen worden war, wie bisher vermutet wurde. „Dies belegt, dass diese Ägypterin mit teuren, importierten Zutaten einbalsamiert worden ist. Auch das Grab des Tutanchamun enthielt Weihrauch und Wacholder“, betont Saleem. „Zusammen mit dem guten Erhaltungszustand der Mumie widerlegt dies die Annahme, dass ein Nicht-Entfernen der inneren Organe auf eine minderwertige Einbalsamierung hindeutet.“

Foto: © Sahar Saleem

Woran starb die Ägypterin?

Danach fahndeten die Ägyptologen nach Hinweisen auf die Todesursache. Demnach war die Frau bei ihrem Tod rund 48 Jahre alt und und bei relativ guter Gesundheit gewesen. „CT-Aufnahmen zeigen milde degenerative Veränderungen an Knochen, Gelenken und Wirbelsäule, wie sie für einen Menschen im mittleren Alter typisch sind.“

Das in Agonie verzerrte und verkrampfte Gesicht versteifte sich durch einen Kadaver-Krampf und ließ sich auch nach dem Tod nicht mehr lösen. Foto: AFP/© Sahar Saleem

Woran also war die Ägypterin schließlich gestorben? „Die CT-Scans der schreienden Mumie zeigen uns ihre Todesursache nicht und liefern auch keine eindeutige Erklärung für ihr Aussehen“, schreiben die Forscher.

Kadaver-Krampf im Todeskampf

Der Grund für das verzerrte Gesicht könnte ein Kadaver-Krampf gewesen sein, mutmaßt Saleem. Dieser Krampf ist typisch für Menschen, die eines gewaltsamen Todes sterben und deren Nervensystem im Moment des Sterbens gestört wird. Anders als die Leichenstarre tritt diese starke spastische Verkrampfung direkt nach dem Tod ein und betrifft nur einzelne Muskelgruppen, nicht den ganzen Körper.

„Diese Muskelstarre kann bei starker emotionaler Erregung oder Gewalteinwirkung auftreten“, erläutert Saleem. Er und sein Team haben einen solchen Kadaver-Krampf schon zuvor bei Pharao Seqenenre-Taa entdeckt, der im Jahr 1553 nach verlorener Schlacht von den Siegern hingerichtet wurde.

„Die Frau schrie bei ihrem Tod vor Qualen und Schmerzen“

„Er könnte darauf hindeuten, dass die Frau bei ihrem Tod vor Qualen und Schmerzen schrie“, erläutert der Forscher. Ihr in Agonie verzerrtes und verkrampftes Gesicht versteifte sich dann durch den Kadaver-Krampf und ließ sich auch nach dem Tod nicht mehr lösen. Das könnte erklären, warum die Einbalsamierer den Mund der Toten nicht wie sonst üblich schließen konnten.

Was jedoch die Agonie – den Todeskampf der Ägypterin auslöste, bleibt weiter rätselhaft. „Die wahre Geschichte und die Todesumstände der als CIT8 bekannten Frau sind unbekannt. Wir können daher die Ursache für ihr Schreien nicht mit Sicherheit ermitteln“, betonen die Ägyptologen.