35. Sonneberger Jazztage It’s „Summertime“ im Jazz-November

Heinz Escher
Norbert Nagel verzauberte das Publikum mit seinem Saxofon am Samstagabend bei den Sonneberger Jazztagen. Foto: /Carl-Heinz Zitzmann

George Gershwin-Feeling im Sonneberger Gesellschaftshaus: Die Macher der 35. Internationalen Jazztage trafen eine kluge Samstagabend-Entscheidung, nachdem die avisierte Ute Lemper auf nächstes Jahr vertrösten musste. „I Got Rhythm“ soll so manche Wunde heilen.

 
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Nach dem „Sound von Meiningen“ auf der dortigen Musical-Theaterbühne nun dieser swingende, ebenso lange vermisste Sound von Sonneberg. Wenn auch von ganz anderer Art und Tonlage. Gemeinsam ist dem einen wie dem anderen: Wir sind wieder da, die Akteure und ihr Publikum! Und wir sind uns auch nicht fremd geworden! Wenngleich in noch immer unwägbaren Zeiten.

„2G“ hin oder her, es jazzt mal wieder in der Stadt. Unter Corona und seinen Geboten allerdings wird die Freude der Leute über das Comeback des Events wohl alles andere als eine ungeteilte sein. Und doch ist sie auch eminent ermutigend!

Im Großen Saal des G-Hauses steigen die Erwartungen. Peter Wicklein, Künstlerischer Leiter von der ersten Stunde an und inzwischen 88-jährig (!), bittet die Gäste des Abends um „einen großen Applaus“ für die Freunde und Macher dieses Festivals, die Musiker und Bands, Unterstützer und Sponsoren, „dass wir es geschafft haben, diese Tage und diesen Abend mit allen Irrungen und Wirrungen in Realität erleben zu dürfen.“ – Im Saal lässt man sich das nicht zweimal sagen.

Die Formationen auf der Bühne nehmen Aufstellung. Das Thilo Wolf Quartett, der eingespielte Kern vom Ganzen sozusagen (Saxofon und Klarinette, Bass, Drums und Piano). An ihrer Seite das Strings Orchestra, die „Klassiker“ von der Streicher-Zunft (Violinen, Bratschen, Celli) in respektabler Mannschaftsstärke und mit auffallend femininer Dominanz. Zusammengestellt, um die erwünschte und erforderliche Klangfülle zu vollenden. Für alle Beteiligten, wie der Chef verrät, eine Premiere in kammermusikalischer Besetzung. – Schließlich mit von der Partie: Special Guest Torsten Goods (41). Jazz-Gitarrist und Sänger aus Düsseldorf, der in Erlangen seine Karriere begann und jetzt in Berlin zu Hause ist. Ein forsch daher kommender Solist mit ungemein sensibler Stimme und gerade dabei, die große weite Welt seiner Branche zu erobern. – Und ob nun Thilo Wolf, den eigenen Kopf stets voller Pläne und Projekte, eher ein perfekter Pianist oder eher ein brillant moderierender Komponist, Arrangeur und Bandleader ist, wird wohl eher Ansichtssache bleiben.

Der 54-jährige aus dem fränkischen Fürth - und wenn nicht alles täuscht, genauso umtriebig wie dieser ganze Völkerstamm - gehört inzwischen zweifelsfrei zum Sonneberger Inventarbestand. Wie so mancher Haudegen auch von diesseits und jenseits des großen Deiches. Ein Freigeist am Piano und am Mikrofon des Abends, der dieses Auditorium schon wiederholt aufmischte, jedes Mal in anderer Besetzung. 2000 mit Wumba-Tumba-Entertainer Bill Ramsay, dem deutsch-amerikanischen Weltenbummler-Barden. 15 Jahre später mit Max Mutzke und dessen Aura, in die Szene wie ein Wirbelwind gestürmt zu sein. Unvergessen für alle, die dabei gewesen waren, jener Gänsehaut-Moment beim „30.“, als fürs „Jazz-in-Concert“-Finale zu aller Überraschung auch noch Thomas Quasthoff auf die Bühne geholt wurde. Mit seiner Sonneberger Frau Claudia hatte der Opernsänger-Megastar zum ersten Mal die hiesigen Jazztage besucht. Ein Mutzke-Quasthoff-Duett mit „You Are So Beautiful“, dem Joe-Cocker-Hit – das hatte es bis dato auch noch nicht gegeben…

Nun also „I got Rhythm – The Music of George Gershwin”. Ein Amerikaner im Universum der Unvergänglichkeit. Für diesen Sonneberger Abend widmete Thilo Wolf eines seiner aktuellen Cross-over-Konzertprogramme dem 1937 an den Folgen eines Gehirntumors mit nur 38 Lebensjahren viel zu früh Verstorbenen. – Zwei Seelenverwandte über die Jahrhunderte, könnte man meinen. Wohl ohne damit so sehr daneben zu liegen.

Im Repertoire des Abends: So manches von dem, was Gershwin unvergessen macht. „Summertime“, mitten im kühlen Thüringer November. Der Charts-Renner ohne Ende aus „Porgy and Bess“, der Oper mit den afrikanischen Wurzeln. Musical-Hits aus „Rhapsody in Blue“ und „Ein Amerikaner in Paris“. – Die Highlights: Norbert Nagels Saxofon und die filigranen Zauberfinger Torsten Goods` an der E-Gitarre im „erbitterten“ Duell mit Thilo Wolfs außer Rand und Band geratenem Piano.

„Jazz meets Symphony“: Die rechte Mischung macht’s. Gershwins vitaler Rhythmus und seine eingängigen Songmelodien in Ohrwurmqualität, vereint mit den Intentionen und Improvisationen mutiger Interpreten von heute, können Evergreen-Romantik früherer Jahrzehnte nachhaltig entstauben. Dazu diese Vollblut-Artisten an ihren Instrumenten und immer mit der Lust zum Fabulieren, wenn es darauf ankommt. Es scheint, der Multikulti-Jazz von heute versteht sich mehr denn je als Bindemittel zwischen all den Genres und Kulturen. Und als mahnender Schulterklopfer obendrein für diese Welt mit ihren permanent zerstrittenen Bewohnern!

Vor dem G-Haus-Finale nach zwei profunden Stunden: Ein ganz spezielles Dankeschön des Bühnen-Ensembles für Peter Wicklein und seine Mitstreiter. Und das, sagt Thilo Wolf, mit einem der nach seiner Meinung schönsten Gershwin-Songs: „But Not For Me“. Dafür, dass sie diesen Abend möglich machten.

Prasselnder Beifall, Zugaben, Standing Ovations, die gar nicht enden wollen. Ein Konzert, das nachklingen wird. Dafür freilich war es auch gemacht.

Übrigens: Der studierte Betriebswirtschaftler Thilo Wolf, berichten Insider aus sicherer Quelle, soll zuweilen in geeigneter Expertenrunde auch trefflich darüber debattieren, was Unternehmer aus welchen Bereichen auch immer von der Welt des Jazz und der Sinfonieorchester lernen können. – Aber das wäre dann schon wieder eine andere Veranstaltung.

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