200 Millionen Euro: Drei Pfund Baulast und Baulust

Michael Plote

Niemand hat so viele Schlösser und Burgen wie Thüringen. Gebaut wurde aber nicht nur in der Vergangenheit: Schloss Friedenstein Gotha ist Großbaustelle. Schloss Altenstein in Bad Liebenstein soll endlich eine normale Baustelle werden. Schloss Elisabethenburg in Meiningen könnte mal Baustelle werden. Unsere Bildergalerie zeigt romantische Paläste und Residenzen in ganz Thüringen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Gotha/Meiningen/Bad Liebenstein - Die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) veröffentlicht jedes Jahr einen großen und schweren Bericht über ihre Arbeit. Das jüngste Exemplar mit 352 Seiten und 1,7 Kilogramm Gewicht – also mehr als drei Pfund – ist überschrieben mit „Baulust und Baulast“ und widmet sich „Erhalt und Vermittlung des Thüringer Kulturerbes“. Da übertreibt die Stiftung nun doch etwas, denn das ganze Kulturerbe Thüringens zu erhalten und zu vermitteln ist nicht ihre Aufgabe. Im Kern kümmert sie sich um den baulichen Erhalt von 31 Liegenschaften ehemaliger Thüringer Residenzen: Schlösser, Burgruinen, Klöster, Parks und Gärten – etliche davon im Süden Thüringens. Der Restaurierungs- und Sanierungsstau beläuft sich auf insgesamt über 500 Millionen Euro, hat die Stiftung jüngst ermittelt.

Mit einem Sonderinvestitionsprogramm von Bund und Freistaat Thüringen stehen 200 Millionen Euro bis mindestens 2027 zur Verfügung, die von der Schlösserstiftung nach politischen Vorgaben geplant und umgesetzt werden müssen. Dabei reden jede Menge Politiker, Verwaltungen und Fachgremien mit und in die Arbeit hinein, was die ganze Sache nicht einfacher macht. Doch der Reihe nach.

Schloss der Superlative

Die 24. Ausgabe des Jahrbuches stellt mit Recht die größte und herausforderndste Liegenschaft und Baustelle der Schlösserstiftung in den Mittelpunkt: das Gesamtensemble von Schloss, Orangerie und Herzoglichem Park von Schloss Friedenstein in Gotha. Stiftungsdirektorin Doris Fischer beschreibt Umfang und Komplexität der Aufgabe und jubelt: „Ein Schloss der Superlative wird saniert!“ 110 Millionen Euro stehen für vier Teilprojekte zur Verfügung. Vermutlich wird noch mindestens zehn Jahre gebaut und restauriert. Begleitend wird geforscht und dokumentiert. Der Museums-, Theater-, Bibliotheks- und Schlossbetrieb soll unter den gegebenen Umständen weiterlaufen. Und doch könnte es passieren, dass die Thüringer Schlösserstiftung ihr Flaggschiff unter den Residenzschlössern bald abgeben muss.

Eine neue Stiftung Schloss Friedenstein soll entstehen, wenn es nach den Plänen des Stiftungsratsvorsitzenden Knut Kreuch geht. Der Oberbürgermeister von Gotha, der Kultur lebt und liebt, denkt strategisch, knüpft politische Verbindungen, sucht und handelt pragmatisch. Das Ziel: Eine neue Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Sie soll künftig unter einem Dach alle Immobilien, Institutionen, eine neue leistungsfähige Bau- und Gartenabteilung, Museumsschätze und Sammlungen, Mitarbeiter und Kompetenzen zusammenführen. Ein Erlebnis-, Bildungs- und Wissenschaftsstandort mit internationaler Ausstrahlung soll in den nächsten Jahren entstehen.

Die Gothaer Pläne sind die Antwort auf eine andere, eine strukturelle Kultur-Baustelle, die mit der Gründung der Thüringer Schlösserstiftung 1994 entstanden ist. Die STSG dominiert als Eigentümer der Schlösser und anderen Immobilien die Interessen und Wünsche der Nutzer. Sie entscheidet im Zweifels- und Konfliktfall, was Museen, Theater, Bibliotheken und andere Nutzer mit ihren „gebauten Rahmenbedingungen“ anstellen können. Oder auch nicht. Da könnte der Autor aus über zwei Jahrzehnten jede Menge Geschichten erzählen, wo Schlosseigentümer und -verwalter sowie Nutzer beiderseitig frustrierende Konflikte austrugen und austragen.

Die Thüringer Landesregierung wollte mit einer Gesetzesnovelle diese strukturelle Kultur-Baustelle bereinigen. Diese Absicht wird von der Mehrzahl kommunaler Politiker blockiert, in deren Verwaltungsgebiet die Immobilien der Schlösserstiftung liegen. Denn die Museumsschätze und Sammlungen in den Schlössern gehören in der Regel zum Eigentum der Kommunen und Landkreise, die Museen werden von ihnen betrieben und zum Teil finanziert. Da gibt es ganz viele und unterschiedliche Interessen, schwierige juristische Fragen eines möglichen Eigentumsübergangs wären zu lösen. Weil die Lage so kompliziert ist, liegt die Gesetzesnovelle auf Eis.

Schloss und Park Altenstein in Bad Liebenstein sind im Eigentum der Schlösserstiftung. Seit vielen Jahren wird das 1982 nach einem Brand stark geschädigte Schloss mehr repariert als grundlegend saniert. Es ist nur im Rahmen von Führungen zugänglich, die unregelmäßig stattfinden und oft ausgebucht sind. Dabei haben Schloss und Park im Jahr der Bundesgartenschau einen Besucheransturm wie noch nie erlebt. Im Jahrbuch der Schlösserstiftung schreiben Experten über die „Wiederherstellung zerstörter Räume im Altensteiner Schloss“, über Aspekte der Gartendenkmalpflege und über eine mögliche Perspektive des Ensembles im Dreiklang von Musikgenuss, Theater und Gartenkunst. Ob dafür ausreichend Kompetenzen und Finanzkraft vor Ort mobilisiert werden können?

Jedenfalls soll jetzt mit dem Sonderinvestitionsprogramm (SIP I) von Bund und Land ein zweistelliger Millionenbetrag in die Schloss-Sanierung, den historischen Küchenbau, die Terrassen und die Bergfriedruine fließen.

Viel weniger Mittel erwarten die Veste Heldburg für den Gastronomieneubau und Kloster Veßra, das sein Refektorium umfassend sanieren und neu präsentieren möchte. Beide Projekte werden im Jahrbuch ausführlich beschrieben. Die Immobilien gehören zur Schlösserstiftung, kommen aber nicht in den Genuss des SIP I. Sie müssen aus dem normalen Investitionshaushalt der Schlösserstiftung von jährlich 5 bis 8 Millionen Euro finanziert werden. Das Projekt Kloster Veßra überzeugt gerade deshalb, weil ein singulärer Geschichtsort mit modernen Medien und interaktiv vermittelt werden soll.

Ohne Ergebnis

Schloss Elisabethenburg in Meiningen gehört noch nicht zur Schlösserstiftung, spielt deshalb im Jahrbuch keine Rolle. Was wird aus dem dringend sanierungsbedürftigen Bau? Eine „Restsumme“ von rund 20 Millionen Euro aus dem SIP I steht für jene Schlösser und Immobilien bereit, die nach dem Willen der Landesregierung und der kommunalen Partner in die Schlösserstiftung eingebracht werden sollen. Schloss Reinhardsbrunn wird bereits mit Millionenaufwand gesichert. Über Meiningen reden alle Beteiligten schon lange miteinander, bisher ohne greifbares Ergebnis. Es ist höchste Zeit für verbindliche Abmachungen. Sonst wird in diesem Jahrzehnt am Schloss Elisabethenburg kein Baugerüst aufgestellt.

So viele Millionen wie noch nie seit 1990 fließen gerade und in absehbarer Zeit in die Infrastruktur und den Betrieb landesbedeutsamer Kulturinstitutionen. Dennoch bleibt die Kultur in Thüringen eine Großbaustelle, die Immobilien der Schlösserstiftung sowieso. Vor allem braucht es noch viel mehr zukunftsfähige Ideen und nachhaltige Strukturen, damit Bürger und Gäste des Landes auch künftig Kultur erleben und genießen können. Und überzeugt sind: Investitionen in Kultur sind gut angelegtes Zukunftskapital.

„Baulust und Baulast – Erhalt und Vermittlung des Thüringer Kulturerbes“ – Jahrbuch der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (Bd. 24), Petersberg 2021, 39,95 – erhältlich im Buchhandel und im Online-Shop unter www.thueringerschloesser.de

Bilder