Mobilität und Energie Raus mit den Stinkern aus der Stadt

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Lieferwagen verstopfen immer wieder Wohngebiete und Innenstädte. Paketdienst, Lieferanten, Umzugsfirmen, sie alle wollen irgendwie ihre Lieferung ans Ziel bringen. Ein Thüringer Konsortium arbeitet an Lösungen, den Lieferverkehr intelligent zu steuern und die Flotten auf Elektrofahrzeuge umzurüsten.

 
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Die Grenzen der Elektromobilität, Matthias Krause hat sie am eigenen Leib erfahren. Und das meint der Geschäftsführer der Elog Systembetrieb GmbH aus Gerstungen im Wartburgkreis wortwörtlich. Im Sommer war Krause zu einer Messe über Logistik in der Nähe von Stuttgart eingeladen. Er sollte dort über seine Erfahrungen mit dem Einsatz von Elektrofahrzeugen im Lieferverkehr berichten - und ein Auto aus seiner Flotte gleich mitbringen. Krause arbeitet mit im Konsortium Smart City Logistik Thüringen. Für einen Pharmagroßhändler steuert er die Fahrten der Liederwagen. Seit mehr als zwei Jahren gehört auch ein Renault Kangoo mit Elektroantrieb zur Flotte. Er ist Teil des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekts mehrerer Thüringer Unternehmen. Der Lieferwagen hat eine Reichweite von 170 Kilometern. Wenn alles optimal läuft. Bis in die Nähe von Stuttgart hatte Krause aber fast 600 Kilometer vor sich. "Mir war vorher klar, dass ich nicht in einem Rutsch durchfahren kann, aber als ich in Stuttgart ankam, konnte ich keinen Kaffee mehr sehen und hatte gefühlt drei Kilo zugenommen", erzählt Krause. der Grund: der Kangoo braucht zum Laden noch recht lange. Während moderne Personenwagen eine Schnellladefunktion haben, bei der oft schon 15 bis 20 Minuten am Netz reichen, um wieder einige Hundert Kilometer fahren zu können, braucht der Kangoo sechs Stunden. "Und diese Zeit habe ich auf Autohöfen verbracht. Da kann man meistens nicht viel mehr tun, als Kaffee zu trinken und etwas zu essen", sagt Krause.

Sein Erlebnis zeigt das Dilemma auf, in dem die Logistik-Branche steckt. Viele Unternehmen würden ihre Flotte gerne auf Elektrofahrzeuge umstellen. Die Vorgaben mancher Städte zwingen sie schon dazu. Erfurt zum Beispiel will den innerstädtischen Lieferverkehr in Zukunft stärker reglementieren, will Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß aus der Stadt verbannen. Elektrofahrzeuge könnten die Lösung sein. Das war auch der Ansatz, als sich das Konsortium vor gut drei Jahren gegründet hat.

Die Idee der Thüringer Unternehmen: Wenn die Reichweite der Fahrzeuge schon eingeschränkt ist, dann muss sie so effektiv wie möglich genutzt werden. "Das gelingt nur mit einer sinnvollen Datenbasis", sagt Thomas Becker, Konsortialführer von Smart City Logistik und Geschäftsführer der Dako GmbH aus Jena. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Entwicklung von Softwarelösungen für die Logistik-Branche. Zur Datenbasis des Konsortiums gehören zum Beispiel auch Echtzeit-Daten über die Verkehrssituation in Erfurt. Die Landeshauptstadt war in der Projektphase so etwas wie das Testgebiet der beteiligten Firmen. Aus mehreren Gründen: Krauses Elog GmbH organisiert die Fahrzeugflotten eines Pharmagroßhändlers, dessen Lager in Neudietendorf angesiedelt ist. "Erfurt ist eines unserer wichtigsten Liefergebiete und die kurzen Wege in der Stadt sind prädestiniert für den Einsatz von Elektrofahrzeugen", sagt Krause.

Außerdem hat die Stadt Erfurt ein Interesse daran, Konzepte dafür zu entwickeln, den Lieferverkehr in der Stadt einzudämmen. An manchen Tagen ist der Anger, Erfurts Einkaufsmeile, von Lieferwagen geradezu verstopft. Daher liefert die Stadt Erfurt ihre Verkehrsdaten an das Konsortium. Das nutzt sie für eine Applikation fürs Smartphone oder Navigationsgeräte, die die Verkehrslage darstellt. Im Idealfall soll der Fahrer eines Lieferwagens an Staus vorbeigeführt werden. Immer mit einem Ziel im Hinterkopf: "Dass er während seiner Tour nicht liegen bleibt, weil der Akku leer ist. Wenn das passiert, würde kein Fahrer mehr in einen Lieferwagen mit Elektromotor steigen", sagt Krause.

Doch das Schreckensszenario ist in der Projektphase nicht eingetreten. "Unsere Fahrer sind immer ans Ziel gekommen und haben es auch wieder zurück ins Lager geschafft", sagt Krause. Die maximale Reichweite der Elektroautos hätten sie dabei nie ausgenutzt. Nach anfänglichen Vorbehalten wären sie nun allesamt angetan vom Elektroauto. Positiver Nebeneffekt: Steigen die Fahrer nach einigen Wochen vom Elektroauto wieder auf einen Diesel um, verbrauchen sie auch dort plötzlich deutlich weniger Kraftstoff. "Elektroautos erziehen die Fahrer zum ökonomischen Fahren", sagt Krause.

Trotzdem sieht er nach fast drei Jahren noch nicht alle Probleme gelöst, die der Einsatz von Elektroautos mit sich bringt. "Wir haben festgestellt, dass wir noch viel weiter denken müssen", sagt er. Ob es zum Beispiel sinnvoll ist, mit dem Elektroauto erst von Neudietendorf nach Erfurt zu fahren. Immerhin verbraucht der Lieferwagen auf den rund 25 Kilometern wertvolle Reichweite, die dann im Stadtverkehr fehlen könnte. Außerdem zwinge die Elektromobilität dazu, Schichtpläne zu überdenken. "Ich muss ja die sechs Stunden Ladezeit sinnvoll in die Arbeitszeit integrieren. Es nützt dem Unternehmen ja nichts, wenn der Fahrer zwar da ist, aber nicht fahren kann, weil das Auto noch geladen wird", erklärt Krause. Kürzere Ladezeiten, wie sie bei manchen Personenwagen mit Elektromotor inzwischen üblich sind, könnten hier Abhilfe schaffen. Doch auch dann ließen sich Diesel-Flotten nicht einfach durch Elektro-Flotten ersetzen. "Aufladen ist nicht wie tanken und Logistiker haben ihre Touren mit Tankstopps geplant", so Krause.

Thomas Becker ist nach drei Jahren davon überzeugt, dass noch mehr Daten notwendig sind, um der Elektromobilität in der Logistik zum Durchbruch zu verhelfen. Schon jetzt sei es eine sehr komplexe Aufgabe gewesen, Verkehrsdaten, Ladestand, Route und alle anderen Daten aufzubereiten und den Fahrern sinnvoll zur Verfügung zu stellen. In Zukunft wollen die Mitglieder des Konsortiums auch noch Daten über die Fracht sammeln. Wird sie in dem Temperaturbereich transportiert, der vorgeschrieben ist? Wann erreicht welches Frachtstück sein Ziel? "Elektromobilität in der Logistik ist nur mit Planung sinnvoll. Wir haben erkennt, dass wir dafür noch mehr Daten brauchen", sagt Becker. Die Thüringer Unternehmen wollen zum Beispiel auch Lösungen dafür erarbeiten, dass nicht alle Lieferwagen gleichzeitig die Lieferzonen in den Innenstädten verstopfen, sondern die Fahrer so durch ihre Tour gelenkt werden, dass keine Zeit und keine Akkukapazität für die Suche von Parkplätzen verloren geht. Positiver Nebeneffekt: Auch der übrige Verkehr kann besser fließen, wenn Transporter nicht mehr in zweiter Reihe parken und das entlastet die Umwelt. "Das Interesse in der Logistikbranche an Elektromobilität ist groß, das merken wir überall, wo wir unser Projekt vorstellen", sagt Becker. Vor allem eine Frage beschäftige die Branche: Ab wann wird der Einsatz von Elektrofahrzeugen wirtschaftlich. Darauf kann das Konsortium noch keine verlässlichen Aussagen treffen. Der Kangoo ist auf seinen Touren zu den Apotheken in Erfurt bislang gerade einmal 14 000 Kilometer gelaufen. Wie hoch die Kosten im Unterhalt also auf lange Sicht sind, darüber kann das Netzwerk noch keine Aussagen treffen. Trotzdem bleibt für Krause nur ein Fazit: "Man kann mit Erdöl sinnvollere Sachen anstellen, als es zu verbrennen." Mit smarten Ideen aus Thüringen könnte in der Logistik jedenfalls schon bald der Diesel der Vergangenheit angehören.

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