Thüringer helfen Bald alles im Eimer bei der Feuerwehr?

Von Klaus-Ulrich Hubert

36 000 freiwillige Feuerwehrleute gehören in Thüringen zur größten und schnellsten Bürgerbewegung. Doch nicht nur die Wehr in Lauscha hat große Sorgen, jeden Tag auch wirklich einsatzbereit zu bleiben.

 
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Diesen mitternächtlichen Lösch- und Rettungseinsatz und die anschließenden Nachbereitungen samt Diskussionen im Gerätehaus werden die 20 Ehrenamtlichen der Lauschaer Feuerwehr so schnell nicht vergessen. Denn: "Immerhin 20 von 21 Kameraden und vier Kameradinnen meiner aktiven Einsatztruppe konnten damals Anfang Dezember zum Einsatz ausrücken", sagt der Lauschaer Wehrführer Manuel Greiner-Stöffele.

Alarm nach Feierabend?

Er wie auch viele andere Ehrenamtskollegen an der Spitze aktiver Wehren müssen längst hoffen, dass die Rettungsleitstellen möglichst erst nach Feierabend Alarm auslösen. Oder an den Wochenenden, wenn die meisten daheim sind.

"Als wenn der Herrgott in dieser Wohnhaus-Brandnacht vor drei Wochen den Sorgen unserer Feuerwehrleute besonderen Nachdruck geben wollte", sagt dazu Birgit Schreiner, die Sekretärin von Lauschas Bürgermeister Norbert Zitzmann (SPD).

Dass nur vier Tage zuvor ein lauter Hilferuf diesmal von der Freiwilligen Feuerwehr Lauscha und nicht, wie üblich, von Bürgern in Not Richtung Feuerwehr gekommen war, das machte landesweit von sich reden.

Um auf die besonders prekäre Situation bei Alarmierungen an Wochentagen, namentlich während üblicher Arbeitszeiten, aufmerksam zu machen, hatten die Feuerwehrleute eine originelle, aber keinesfalls spaßig gemeinte Idee: Sondereinsatz "Stufe Orange".

"Stufe Orange"

Wie bitte? Wehrführer Manuel Greiner-Stöffele schmunzelt etwas hintergründig: "Also, wir hatten für den besonderen Großeinsatz am 27. November 300 orangene Plaste-Eimer bestellt, die dann mit Bedienanleitungen für den Eimerketten-Lösch-Ernstfall dekoriert und damit 15 Mitglieder der Wehr in Marsch gesetzt. Hin zu fast allen Lauschaern, von denen wir sicher wussten, dass sie im wehrfähigen Alter sind".

Das für seine Glaskunst berühmte Städtchen, es erlangte so auch feuerwehrtechnisch Popularität. Wobei die Ehrenamtlichen im Feuerwehr-Schwarz ihre Aktion vor allem auf "mehr Popularität des Helfer-Gedankens und Mitmachens bezogen wissen wollten".

Wehrführer Manuel: "Also gingen wir stundenlang von Tür zu Tür, habenen dabei massig Diskussionsbedarf gehabt: Wir wollten als ersten Schritt zu breiterer personeller Einsatzbereitschaft, mindestens aber zur ernsthaften Selbstprüfung von Einwohnern anregen: ,Warum sollte ich eigentlich nicht auch mithelfen?'

Wenn die Mitbürger so nur ein wenig besser verstanden haben", so Greiner-Stöffele, "dass ihre Feuerwehr kein Servicebetrieb ist, den man im Ernstfall einfach nur bestellen muss" - dann sei doch schon viel gewonnen.

Arbeitgeber als Partner

Lauschas Wehrführer weiß ebenso wie der Jugendwart des Thüringer Feuerwehrverbandes, Jörg Deubert, worin die Hauptursachen für die Auslichtung der Tagesbereitschaften Thüringer Feuerwehren besteht.

Deubert: "Unsere oft zitierte Leistungsgesellschaft, die Menschen auf Arbeitssuche bis sonst wo hin trieb; die Ausbildung oder das Studium weit außerhalb ... All dies, nach dem man sich von Kindesbeinen an bei den Jugendwehren Rüstzeug für die Einsatzabteilung holte. Und dazu noch die demografische Entwicklung mit einer Bevölkerung, die immer mehr überaltert."

Die nach der Wende mühsam erlernte Einstellung, dass sich immer alles irgendwie rechnen müsse, kennt Deubert auch aus vielen Diskussionen. Er selbst ist neben dem Landes-Ehrenamt für Thüringens Floriansjünger in der heimatlichen Wehr von Kranichfeld im Weimarer Land. Als Gruppenführer.

Wie anders soll's gehen?

Die Gesellschaft darf die Freiwilligen eben nicht nur als ein paar Enthusiasten, als Truppe leicht Verrückter ansehen und viel mehr von ihnen nehmen als zu geben. Das betrifft auch die Familie, Ehe- und andere Partner, die den Rücken für das zeitaufwendige Ehrenamt freihalten müssen. Das klinge vielleicht pathetisch, sei aber genau so: "Im Interesse von Leben, Gesundheit, Hab und Gut der Allgemeinheit und letztlich der eigenen Familie. Jeder kennt die Bilder, wenn wir mit Hydraulik-Schere und Spreizer Menschen aus ihren Autowracks holen."

Deuberts Hinweis auf die besondere Rolle des hilfreichen Wohlwollens der Arbeitgeber von Ehrenamts-Feuerwehrleuten unterstreicht Manuel Greiner-Stöffele sofort. Er nennt sein eigenes Beispiel:

"Seit 2010 arbeite ich in Haselbach beim Textilfaser-Hersteller Vitrulan. Also ehrlich: Wäre heftig, würden mich nicht Werkleiterin Heike Schwarz und Geschäftsführer Hans-Jochen Häusler für Einsätze, Übungen, Weiterbildungen und die vielen zusätzlichen Anforderungen eines Wehrführers bei Bedarf freistellen ..."

Zum Vater aufgeschaut

Vorbildliche Arbeitgeber wie diese können auf öffentliche Anerkennung durch den Landesfeuerwehrverband rechnen. Es gibt sogar Schilder zum Aushängen, die man dort per Internet beantragen kann (thfv.feuerwehr-thueringen.de ). Vielerorts zwischen Rennsteig, Saale, Werra, Unstrut, Ilm und Weißer Elster nutzten schon Kommunen und ihre Feuerwehren diese Möglichkeit zum symbolischen Schulterklopfen für hilfreiche Unternehmen. Solchen, die bei ihrem Arbeitszeitregime immer auch berücksichtigen, dass Feuerwehrleute auch mal ungeplant und plötzlich ihre Arbeitsstelle berücksichtigen müssen. Mitten in der Schicht alles stehen und liegen lassen!

Unweit von Lauscha, in Großbreitenbach (Ilm-Kreis), freute sich schon Mitte der 90er-Jahre Stadtbrandmeister Uwe Fröhlich, besonders hilfreiche Betriebe mit den attraktiven Anerkennungs-Tafeln ehren zu können: Neben dem Wiegand-Glaswerk mit zweihundert Beschäftigten auch die vis à vis gelegene Frötek GmbH.

Der Leiter des Kunststoffverarbeiters, Gerd Schneider: "Von unseren 84 Beschäftigten sind ja mitunter gleich mal sieben weg, wenn es die Rettung von Menschen, das Löschen, Sichern, Bergen und technische Hilfeleistungen bei Einsätzen erfordert. Doch wie soll's bitteschön anders gehen, wenn man die Ehrenamtlichen nicht in ihrem großen Engagement unterstützt?"

Zurück nach Lauscha: Da wurden kurz vor der eben so sinnfälligen wie spektakulären Eimer-Aktion die Besucherstühle der Stadtratssitzung knapp. Die Kameradinnen und Kameraden der Kleinstadt und ihres Rennsteig-Stadtteils Ernstthal samt dessen Glaswerks-Wehr unterstrichen allein schon mit ihrer Präsenz: "Es muss sich jetzt endlich in Sachen Einsatzbereitschaft rund um die Uhr etwas tun. Und zwar durch mehr Bürgerengagement! "Ebenso wie hinsichtlich einiger Antiquitäten viel überalterter Einsatztechnik", ergänzt Manuel Greiner-Stöffele.

Dass der Lauschaer Stadtbrandmeister, der die buchstäbliche Brandrede zu den Nöten der Retter aus Not vor den Stadträten hielt, ebenfalls Greiner-Stöffele heißt, ist kein Zufall und liegt auch nicht daran, dass es in Lauscha so viele Greiners gibt. "Mein Vater Hartmut ist das! Der nahm mich schon zu allen möglichen Feuerwehr-Angelegenheiten mit, als ich noch Kind, später auch in der Jugendfeuerwehr war", strahlt Manuel.

Längst zählen heute unter Jungs nicht mehr wie in früheren Jahrzehnten Feuerwehrmann, Lokführer, Kosmonaut, Seemann oder KfZ-Mechaniker zu den Helden beruflicher Zukunftswünsche.

Aber der heute 31-jährige Manuel erinnert sich noch immer stolz, wie er "zu Vater in seiner Uniform, in seiner Verantwortung" aufgeschaut habe. "Dann, wenn wir nebeneinander unterwegs waren." Und ähnlich ging es dem seinerseits: Mit Manuels Großvater Hubert, ebenfalls Feuerwehr-Freiwilliger.

Das Prinzip familiärer Erblichkeit ist im Brandschutz vielerorts buchstäblich greifbar und ablesbar: An den Helm- oder Uniformbeschriftungen, den Umkleidespinden.

Und auf den Sicherheitsmarken, die vor dem verschärften Einsatz in lebensfeindlichem Umfeld bei der Atemschutzüberwachung abzugeben sind, um sicher zu sein, wer drin ist. Um immer zu wissen, wer gerade - und wie lange noch! - in der Rauch- und Flammenhölle kämpft, schwitzt, löscht und rettet, bis die Sauerstoffflasche buchstäblich aus dem letzten Loch pfeift ...

Oder auf den Namenslisten für Fortbildungen in der Landesfeuerwehrschule Bad Köstritz. Oder auf den Teilnahmelisten der wöchentlichen Dienste, wie sie in Lauscha immer freitags ab 18 Uhr im Gerätehaus stattfinden: Im Wechsel zwischen Ausbildungs- und Wartungsdienst.

Oftmals mehrfach gleiche Familiennamen gibt's vielerorts auch in der Listung von Kräften mit solch besonderer Verantwortung für das Allgemeinwohl wie beim Katastrophenschutz- oder im Gefahrgutzug: Vater und Sohn, Mutter und Tochter Seite an Seite.

Brandschutz-Erbe

Nicht anders bei Auszeichnungen zur Jahreshauptversammlung - von der Alters- und Ehrenabteilung bis zu den Einsatzabteilungen, also den aktiven Feuerwehrleuten: Immer tauchen Namen mehrfach auf, sind Ausdruck traditioneller generationenübergreifender Verbundenheit von Familien mit ihrer Feuerwehr.

Allerdings gibt es immer mehr Platz nebenan: In leer bleibenden Spinden der Gerätehäuser, auf freien Plätzen beim Ausrücken der Rüstwagen, in Lösch- oder Gefahrgut-Messfahrzeugen. "Stell dir vor, du drückst, und alle drücken sich", kommentiert die Internetseite der Wehr das Foto eines Feuermelderknopfes ...

Im Februar 2015 werden auch die Lauschaer auf ihrer Versammlung nicht nur ihr Einsatz-, Übungs- und Qualifizierungsjahr bilanzieren. Ob sie dann noch - oder besser gesagt wieder - schmunzeln können, über ihre Haushalt-Löscheimer-Bedienanleitungen?:

1. Brand melden.

2. Zehn Minuten warten, hoffen dass die Feuerwehr kommt

3. Keine Feuerwehr? - Dann Eimer befüllen

4. Wenn Feuer zu groß, Nachbarn informieren, Eimerkette bilden ...

Manuels Männer und Frauen werden also genau hinschauen, ob sich nach der Löscheimer-Aktion mehr Bereitschaft zum Mittun zeigt.

Letztes Mittel

Feuerwehr-Vorstand Heike Gimm: "Wir haben doch so viel unternommen, vieles probiert. Seit 2012 hat unser Jugendwart Norbert Meusel das Eintrittsalter auf sechs Jahre gesenkt und damit die Jugendwehr wiederbelebt, wir haben Projekte mit Schule und Kita gemacht, waren in der Öffentlichkeit aktiv... alles!"

Vergangene Woche gab Bürgermeister Norbert Zitzmann noch keinen optimistischen Zwischenbescheid: Stadträte - von denen übrigens kein einziger in der freiwilligen Feuerwehr dient - seien nun zwar eben so wie die Bürger sensibilisiert. "Und 2015 wird es Einladungen zu persönlichen Gesprächen geben."

Aber als Stadtbrandmeister Greiner-Stöffele und sein Sohn für ihre ehrenamtlichen Mitstreiter die Befürchtungen zur Feuerwehrzukunft im Tal der Christbaumkugeln vortrugen, brauchten sie keine magische Kristallkugel, um die Zukunft des Brandschutzes zu erfragen.

Schöneres zu tun?

Bürgermeister Zitzmann, dem beide Greiner-Stöffele-Ehrenamtler gute Noten als oberstem Feuerwehr-Dienstherr geben: "Die rechtlich mögliche Option einer Pflichtfeuerwehr wäre freilich aller-aller-letztes Mittel!" Was nutzt es letztlich, wenn Dienstverpflichtete den Alarm überhören - oder überhören wollen - weil sie Schöneres zu tun haben?

Zitzmann appelliert an der Seite seiner FFw-Ehrenamtlichen lieber weiter nachdrücklich an "Motivation und Verantwortungsbewusstsein", vermeidet Horrorszenarien, übt sich in positiver Sicht, von "Chancen, die eigene Lebensqualität und die der Familie durch den Dienst an der Gemeinschaft" zu verbessern.

Auch sei die Situation dem "demografischen Wandel zuzurechnen. Einem Faktor, den es zu akzeptieren gilt." Manuel Greiner-Stöffele merkt hinsichtlich der Eimer-Aktion halblaut an, dass "Demografie-Abschwung und wohl auch gewisse Gleichgültigkeiten und Arbeitsplatz-Gebundenheit der Jüngeren "leider wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer" zusammenpassen.

Dann sagt der Bürgermeister deutlich lauter: "Von 1892 bis 1902 und wieder ab 1936 gab es bei uns eine Feuer-Wehrpflicht für jeden Mann. Wenn solche Zustände heute nicht wieder haben wollen - dann müssen wir gegen Feuer und gegen Desinteresse zugleich kämpfen!"

Heute, am Freitagabend treffen sich Lauschas Aktive wieder im Gerätehaus in Unterlauscha. Wer weiß, vielleicht geht ja die Tür auf und jemand sagt: "Hier bin ich, und ich mache ab sofort bei euch mit."

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