Thüringer helfen "Uns traf das blanke Entsetzen"

Von Klaus-Ulrich Hubert

Die Bilder, wie der Himmel seine Schleusen öffnete, gehen vielen Ilmenauern seit dem 29. Mai nicht mehr aus dem Kopf. Bis heute kämpfen dort viele Geschädigte gegen die Unwetterfolgen.

 
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Der Ilmenauer Ortsteil Oberpörlitz, hoch oben auf der Pörlitzer Höhe mit schönem Blick auf die Uni-Stadt, wird am Nachmittag dieses verhängnisvollen letzten Mai-Sonntags zur unerwarteten Wasserscheide zwischen Ilm und Gera. "Wir hätten im Leben nie gedacht, dass unser Reiterhof samt Reitvereins-Gelände - so hoch auf dem Berg - mal derart riesige Wasserschäden bekäme." Heike Hörnlein hat gleich den nächsten Versicherungsgutachter-Termin. "Der Boden unter unserer riesigen Futterhalle ist einfach weggespült worden, die Feuchtigkeitssperren von Reithalle und Reitplatz sind aufgeschwommen, die spezielle Einstreu nur noch Pampe."

Die Halle sei zwar versichert. Aber der Baugrund, auf dem sie eigentlich erneuert werden müsste? Tausend Detailfragen, die Versicherung kümmere sich aber, sagt Heike. Gut einen Monat nach der Unwetterkatastrophe hat die Chefin des landwirtschaftlichen Einzelunternehmens "Reiterhof Oberpörlitz" mit vielen Helfern und dem hier agierenden Reitverein viele Spuren des Jahrhundert-Regens beseitigt.

"Und vieles in die Sonne gelegt, vielleicht trocknet es bei hochsommerlichen Temperaturen schneller, als es verschimmelt", sagt Peggy Hörnlein. Sie ist die Vorsitzende des hiesigen Reitvereins, dessen Einrichtungen und Ausrüstungen großer Schaden entstand. Peggy riecht, während sie das sagt, skeptisch an einem immer noch feuchten Kinder-Reitsattel. Neuanschaffungs-Kostenpunkt ab 800 Euro aufwärts. Kein Pappenstiel für ihren rührigen, 115-köpfigen Reitverein. Zu zwei Dritteln aus Kindern und Jugendlichen bestehend, die hier einen festen Anlaufpunkt haben.

Peggy: "Es waren etliche Leder-Sättel, die in den Fluten abtauchten, sich vollsogen. Wir hatten ja mit vielen, schnell herbeigeeilten Helfern zuerst unser Tun, um die schon bis zu den Kniegelenken im Wasser stehenden Pferde in Sicherheit zu bringen."

Steil abwärts und deshalb eigentlich solide gegen Ausspülungen asphaltiert - so war nach dem Unwetter auch der Triebweg zwischen Reithallen, Ställen und Umgebung nicht mehr wiederzuerkennen.

Peggy Hörnlein, rührige Mutter des gemeinnützigen Vereins, macht die Handbewegung vom Schotter-Schaufeln: "Vieles ist jetzt wieder ausgebessert, nach dem die Sturzbäche die Bankette knietief ausgespült hatten."

Weiter unten am steilen Nordgefälle des Geländes ist der Druck des reißenden Wassers "so stark gewesen, dass die Bitumenschicht das Schwimmen lernte. Hier muss spätestens vor dem Winter saniert werden. Der Weg ist aber nicht versichert, hier brauchen wir jede Hilfe", so Peggy.

Die hat vor den nächsten Ferien-Wochenenden mit großem, teils bundesweiten Teilnehmern und vollem Programm einige Sorgen. Von denen lässt sie die heute wieder gut zwei Dutzend Ferienkinder aus dem Ilm-Kreis nichts merken. Ältere der Vereins-Kinder, wie Carla Klemm, muss Peggy nichts erklären. Carla hat bereits beim Unwetter mit geholfen. Heute ist die Vierzehnjährige eine der Übungsleiterinnen für die Ferien-Kinder.

Peggy Hörnleins Herz hängt besonders an der Kinder- und Jugendarbeit. Buchungen zu Oberpörlitzer Reiterhof-Ferien kommen zwar auch aus ganz Deutschland. "Doch die kommen sozial aus ganz anderen Welten als viele unserer Kids gleich um die Ecke, vom Plattenbaugebiet Pörlitzer Höhe."

Die Augen der gelernten Pferdewirtin strahlen, als sie sich so richtig freut, "dass bei uns ein guter Mix von Kindern und Jugendlichen unterschiedlichster sozialer Herkunft ihre Pferdeliebe gemeinsam ausleben können". Und Verantwortung lernen. Für die Tiere und ihr eigenes Miteinander. Beim Voltigieren, Ausreiten, Pferdepflegen, Füttern.

Die Kinder entdecken Natur und Umwelt bewusst wieder, weil "sie raus aus der häuslichen Computerstarre, rein in ein Gefühl von eigener Körper- und Pferdebeherrschung kommen. Mein großes Anliegen", so Peggy.

Dass junge Leute aus sozial besonders schwierigem Elternhaus hier oft viel lieber sind als daheim, erschreckt Peggy. "Da kommt Jessi* an kalten Tagen, einfach so dünne angezogen zu uns, wie sie eben noch vor der Glotze im Zimmer saß. Die Jüngsten unserer Vereinsfamilie hier sind drei, die ältesten 73 Jahre."

Auch von Trägern therapeutischer und sozialer Arbeit kommen viele junge Leute. "Manche mit unterschiedlichster Beeinträchtigung. Motorik- und Vertrauens-Training gibt's zum Oben-auf-Reiterselbstbewusstsein gleich mit dazu", lacht Peggy mit dem Hinweis: "An sechs Tagen die Woche."

Am Sonntagnachmittag saust die junge Frau und Mutter wieder ihre Runden in Hilfestellungs-Bereitschaft neben "Ross und Reiterchen" her. Oben auf dem Pferderücken ihre jüngeren Vereinsmitglieder, danach sind aufgeregte Ferienlager-Kinder zu Gast.

Auf Kreisbahnen traben die Pferde ihre Voltigier-Runden. Mit gespannter Aufmerksamkeit hoch oben balancierend reimt sich für die Kids "Glück der Erde, auf dem Rücken der Pferde".

Am 29. Mai kam das Wasser von der Straße nordwärts durch den Reiterhof und die Vereinsanlagen geschossen. Und sorgte gleichzeitig auf dem in Rufnähe gelegenen, Südgefälle der Pörlitzer Höhe und deren Wohngebieten für Entsetzen.

"Im Hochwasser schwimmende Autos oben auf dem Berg?", so Reiterhof-Chefin Heike Hörnlein, "das hätten selbst unsere erfahrensten Feuerwehrleute kaum glauben können". Im Dauereinsatz mussten sie sich quasi zerteilen, oft von immer neuen, ungeduldig wartenden Unwetteropfern angefordert.

So erinnert sich auch Peggy, wenn sie über einen Monat später an das abendliche "Wunden-Lecken" aller Helfer und Betroffenen nach stundenlangem Kampf gegen die Unwetterfolgen denkt.

Dabei immer noch die von weißem Hagel bedeckten Koppeln bis hinauf zu den externen Weideflächen bei Vesser vor Augen. Und die Erleichterung, als man endlich besorgt nach den weidenden Pferden auf der großen Wiese hinter den Ilm-Kreis-Kreiskliniken sehen konnte. Die Tiere stiegen einfach den angrenzenden Hang unterm Lindenberg rauf.

"Das blanke Entsetzen kam uns, als mein Mann und ich unsere Kinder schnell zu Freunden gebracht hatten, um alle Hände für die Rettung des großen Reit-Objektes frei zu haben. Da unten, die Hertz-Straße, sie war nicht mehr zu sehen - ein breiter, brauner Fluss!"

Peggy zeigt auf Futterreserven, die gerade Dampf ablassen. "Die auch!", grinst die schlanke Vierzigjährige. Und lacht dann doch wieder, als sie merkt, wie sehr sie sich beim Dampfablassen gegenüber ihrer Heimatzeitung in Galopp redet.

Die Stroh- und Heuballen gehörten zur Futterreserve für die insgesamt 115 Pferde des Reiterhofes und Vereins. "Nunmehr brandgefährlich!" merkt Peggy Hörnlein an, denn das durchnässte Futter entwickelt kräftig Bio-Wärme, neigt zur Selbstentzündung.

Die Ilmenauer Initialzündung für spürbare Spenden-Hilfe hier und in vielen Dutzend geschädigter Haushalte steht noch aus. Zusammen mit Freies Wort hilft und Lesern aus ganz Südthüringen wird nun umgehend zielgerichtete Unterstützung vorbereitet.

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