Thüringer helfen Herrn Zieglers neuer Weg ins Leben

Von Klaus-Ulrich Hubert
Noch ist hier Schluss für Hans-Jürgen Ziegler und seinen Rollstuhl. Am heutigen Freitag startet der Bau der Rampe, und zu Ostern wird dank der Leserspenden die Höhendifferenz zum Grundstück im Möhra kein Handicap mehr sein. Im Hintergrund freuen sich Kersten Mey von "Freies Wort hilft", Schwiegersohn Gerd Müller, Ehefrau Bettina Ziegler und Tochter Sabine Müller. Foto uhu Quelle: Unbekannt

Zwei Jahre, nachdem Hans-Jürgen Ziegler ein Pflegefall wurde, beginnt für den 64-jährigen Mann aus Möhra eine Zeit ermutigender Neuigkeiten. Spenden von Zeitungslesern haben die ermöglicht.

 
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Es ist einer dieser milden Wintertage dieses seltsam warmen Jahres, an dem der schwergewichtige, schwerkranke Mann schon mal probeweise an den Start geht. In eine Zeit größerer Bewegungsfreiheit, die ihm nun bevorsteht. Hans-Jürgen Ziegler saugt tief die erfrischende Luft und den Blick ins Freie ein. Den Blick auf Möhra nahe Bad Salzungen, sein Heimatdorf.

Dabei sitzt der 64-Jährige im XXL-Rollstuhl, oben, an der bereits von der Familie mit Hilfe der AOK auf extra-breites Rollstuhlformat erweiterten Küchenfenstertür ins Freie. Deren Unterkante liegt knapp anderthalb Meter über dem Vorgarten- und Straßenniveau in der Ziegelei-Siedlung westlich des Luther-Stammortes. Eine Höhendifferenz, die ihn bislang von der halbwegs gleichberechtigten Teilhabe am Außen-Leben ausschloss (wir berichteten am 23. Oktober ).

Hilfe Hand in Hand

Eine Höhendifferenz auch, die den Sanitätern zusetzten, die ihn so oft und dann meist dringend ins Krankenhaus transportieren müssen. "Die müssen immer zu viert kommen, um mich die schmale Treppe durch den engen Hauseingang im Tragetuch raus in den Krankenwagen zu schleppen." So erinnert sich der Superschwergewichtler, der Tag und Nacht in seinem Pflegebett liegen muss. Alltag für Hans-Jürgen Ziegler.

Zuletzt im November 2015 musste das wieder sehr schnell gehen. "Blaulicht vor dem Haus. Rasante Fahrt in mein Spezialklinikum Bad Berka, drei von elf Tagen dort an tausend Schläuchen auf Intensivstation, einen Tag lang absolut nichts mehr mitgekriegt: Blutvergiftung, Sepsis, Schüttelfrost, hohes Fieber, Beatmungsgerät ..."

Einen Herzstillstand, den hat er schon sehr früh im Krankheitsverlauf überlebt. Jeder Tag, den Hans-Jürgen seitdem gewinnt, an dem er wieder etwas mehr Hoffnung auf Verbesserung seiner Situation als Schwerkranker hegen darf, ist für ihn ein guter Tag.

Ein sehr guter Tag, wenn dann noch der Vorsitzende des Vereins "Freies Wort hilft", Kersten Mey die gute Nachricht überbringt: "Wenn wir zusammen mit Ihrer Krankenkasse und einer preismäßig entgegenkommenden Tischlerei eine Rampe statt des ursprünglich angedachten, doppelt so teuren Hubliftes ans Haus bauen, sind wir doch schon am Ziel der Spendenaktion für sie, Herr Ziegler", sagt Mey bei seinem Besuch vor Ort in Möhra.

4000 Euro trägt die AOK zum Bau der Rampe bei. Die Konstruktion wird Hans-Jürgen bald ein Stück Selbstständigkeit zurück geben. Er wird wieder ein wenig am Leben außerhalb des kleinen Häuschens und des großen Pflegebetts teilnehmen

"Exakt 5565 Euro haben unsere Leserinnen und Leser gezielt für Herrn Ziegler gespendet. Das reicht zusammen mit dem Kassen-Zuschuss für dir Rampe und ein paar hundert Euro zusätzlich für nützliche Dinge", so der Hilfevereins-Vorsitzende weiter.

Dabei wertet er mit Hans-Jürgens Ehefrau Bettina, Tochter Sabine und deren Ehemann Gerd Müller aus dem Nachbardorf das Angebot der Schreinerei Bötsch aus Kloster Veßra, aus, sucht nach Einsparpotenzial. Mey baut darauf, dass die Rechnung am Ende nicht höher als das Angebot ist, weil nicht alles einberechnet wurde.

Hans-Jürgen geht's ausgerechnet beim kurz zuvor angemeldeten Besuch seiner Zeitung wieder mal nicht so gut. Über seine (etwas) besseren Tage sagt er, sehr um ein leises Lächeln bemüht: "Tagesabläufe von Körperhygiene, Frühstück, medizinischer Pflege, Physiotherapie... Und dann Klimmzüge an meinem Galgen überm Kopfende und dann endlich mein tägliches Freies Wort lesen."

Später zappt Hans-Jürgen per TV-Fernbedienung auf den deutsch-französischen, werbefreien Sender Arte: "Spannende Reportagen aus der weiten Welt anschauen."

Die Luftreifen seines extra-breiten Rollstuhls quietschen über den Boden, als Ehefrau Bettina und Tochter Sabine ihn wieder vom Blick aus der Küchenfenstertür in die kleine, aber nun bald deutlich größere Welt seines Wohnumfeldes bugsieren.

Dann zwängen Sabine und Ehemann Gerd einen breiten Beckengurt unter Hans-Jürgen hindurch, befestigen dessen Mittelstück wie beim Windelanlegen auch vom Leistenbereich an aufwärts am Seil eines kleinen Krans. Dann hieven sie den Vater mit der elektrischen Seilwinde an, setzen ihn im Pflegebett wieder sehr vorsichtig ab, befestigen die Katheter neu ...

Wie Hans-Jürgen Ziegler da so einen Moment schaukelnd und hilflos am Kran baumelt, wird sichtbar: So viel innerfamiliäre und gesellschaftliche Solidarität sind also notwendig, um schwer Pflegebedürftigen einen Hauch ihres früheren Lebens zurück zu geben. Eine Fähigkeit zur Solidarität, die entscheidet, ob eher der Reichtum oder eben die Armseligkeit gesellschaftlicher Realität regiert.

Ein Reichtum, der sich nur annähernd in Euro und Cent des Spenderwillens manifestiert. Einer trage des anderen Last, diese biblische Weisheit aus dem Galaterbrief, sie ist hier auch buchstäblich zu erleben.

Dass Hans-Jürgen heute ein Superschwergewicht ist, das liegt an den vielen Krankheitssymptomen und am Bewegungsmangel in den zwei Jahren im Pflegebett und in der Enge der vier Wände seines kleinen Häuschens.

Zu Wochenbeginn noch war der Schreiner aus Kloster Veßra mit seinem langen Zentimetermaß durch den Vorgarten gesaust, hatte Markierungen in den frisch verschneiden Boden geschlagen. Er ist Auftragnehmer für den Rampenbau. Und er weiß, dass die Konstruktion aus langlebigem und wetterfestem Douglasienholz deshalb kein schwankendes Leichtgewicht sein darf: "Viele Bauvorschriften für so etwas. Höchstens neun Prozent Gefälle, wenn die Rampe nicht an einem öffentlichen Gebäude zu installieren ist, in dem Fall nur sechs", sagt Schreinermeister Georg Bötsch.

Neunzehn Meter lang wird seine Holz-Konstruktion. Sie windet sich vom Ausgangspodest vor der Küchenfenstertür, sicherheitshalber über ein Zwischen-Podest auf halber Strecke um die Giebel- und Seitenwand des Häuschens. Bis hinunter zum Fußweg, auf dem mit dem bevorstehenden Frühling Hans-Jürgens neue kleine Freiheit beginnen kann. Er und die ganze Familie freuen sich auf diesen Tag der Befreiung sehr.

Auf der schiefen Ebene

Wenn ab heute Schreinermeister Bötsch zunächst mal Betonbauer ist und seinen ratternden Erdlochbohrer für die Säulenfundamente anwirft, wird das für Hans-Jürgen der seit langem schönste Baulärm. "Sechzehn Fundamente sind zu setzen, die tragen die Konstruktion aus soliden 34-Zentimeter-Bohlen. Eins-fünfziger Breite plus Geländer", sagt Bötsch. Und schmunzelt. Denn bevor Hans-Jürgen Ziegler erstmals auf die schiefe Ebene gerät, vergehen - je nach Wetter - bestimmt noch drei Wochen. Viel Handarbeit des Ein-Mann-Handwerksbetriebes.

"Noch bis Monatsende dürfte Herr Ziegler hier Probefahrt machen", so der Handwerker über das 19 Meter lange Osterei für unseren glücklichen Leser. Der tippt mit dem Finger nachdrücklich auf den Notizblock des Berichterstatters: "Hier, bitte allen sehr herzlich von Zieglers danken. Allen, die dazu betrugen! Sechs Jahre lese und verfolge ich ihre Geschichten auf der Seite ,Thüringer helfen'. Ich ahnte ja nicht, dass ich mal selbst in solch eine unverschuldete Notlage kommen könnte."

Hans-Jürgen Ziegler muss kurz und schwer Luft holen unter seinem Sauerstoffgerät. Und dann fügt er hinzu: "Aber noch weniger hätte ich gedacht, dass mir so rasch vom Verein und der Lesergemeinde mit Spenden geholfen würde."

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