Mehr Besucher - das ist ein Erfolg, der Ansgar Haag auch künstlerisch beflügelt. Wie er diesen Schwung ab Herbst nutzen will, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung.

Herr Haag, hat das Meininger Theater eine gute Spielzeit erlebt?

Auf jeden Fall. Das lässt sich an zwei Punkten festmachen: Zum einen haben wir die Schallgrenze von 160 000 Besuchern wieder überschritten. Das ist deshalb wichtig, weil wir nach dem Rekordjahr 2008 und nach der Sanierung des Theaters einige Problemen hatten. Nun haben wir mit 597 Veranstaltungen sogar einen Rekord aufgestellt. Das hat es in Meiningen noch nie gegeben. Künstlerisch - und darauf bin ich stolz - haben wir das mit einem Spielplan geschafft, über den man früher vielleicht gesagt hätte: Wenn die so weiter machen, bleiben die Touristen weg. Das war nicht der Fall. Wir hatten mutige Werke im Großen Haus, ich erinnere nur an Tankred Dorsts Stück "Nach Jerusalem". Auch in der Oper gab es Inszenierungen, die zwar nicht so gut besucht, aber dennoch wichtig waren - wie "Anya 17". Philippe Bachs Konzert-Konzept, zeitgenössische Kompositionen und bekannte Titel zusammenzubringen, hat uns eine niedriger Konzertauslastung gebracht, nämlich nur 88 Prozent. Das hat es noch nie gegeben, trotzdem haben wir einen wichtigen Schritt hin zur Verjüngung des Konzertpublikums getan.

Um Konzert, Oper und Operette muss sich der Meininger Intendant sicher nicht sorgen. Wer den Spielplan betrachtet, merkt: Sie kämpfen im Schauspiel um Publikum!

Das ist richtig. Wir haben im Schauspiel Publikum verloren, trotz der rund 60 Vorstellungen im Großen Haus. Dass wir hier bei nur knapp über 60 Prozent Platzausnutzung liegen, darf nicht so bleiben. Mein Ziel war immer 65 plus. Aber: An den Zahlen gemessen, kommt das Schauspiel zu negativ weg. Die Musical-Vorstellungen, ich meine damit "Hair", waren immer fast ausverkauft. Und da stehen nur Schauspieler auf der Bühne. In der neuen Spielzeit gibt es sogar zwei Musicals: "Blutsbrüder" und "The Rocky Horror Show". Unsere Statistik rechnet die aber immer dem Musiktheater zu. So gesehen sind 60 Prozent im Schauspiel meiner Meinung nach gar nicht so schlecht.

Dennoch: Für Schauspiel interessieren sich offenbar weniger Leute als für Oper oder Operette. Trifft Schauspiel am Theater generell weniger den Nerv der Zeit?

Ich sehe, dass Deutschland ein Problem hat, die Massen fürs Schauspiel zu faszinieren. Wenn ein paar Fußballer Weltmeister werden, dann tobt ein ganzes Land. Die Süddeutsche Zeitung berichtete wochenlang über jeden Firlefanz der Weltmeisterschaft. Wenn die so viel über die Münchner Bühnen schreiben würden, würden auch die überrannt. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass andere Schauplätze offenbar spannender sind als Theater. Aber: Eisenach und Meiningen haben steigende Besucherzahlen - entgegen dem Thüringer Trend. Thüringen kämpft mit der Abwanderung. Folglich verlieren Thüringer Bühnen Besucher - aber nicht in Eisenach und Meiningen. Man muss ja mal eins sehen: Meiningen ist eine Stadt mit knapp über 20 000 Einwohnern, hat aber 160 000 Theaterbesucher. Statistisch gesehen geht jeder Meininger acht Mal im Jahr ins Theater. Der Großraum Berlin hat fünf Millionen Einwohner, aber nur eine Million Theaterbesucher. Eisenach hatte in dieser Spielzeit knapp 52 000 Besucher. Das entspricht ungefähr der Einwohnerzahl. Die Partnerstadt Marburg ist dreimal so groß und die Zuschauerzahlen dort liegen unter 50 000. Niemand käme aber auf die Idee, das Marburger Theater zu schließen. Nur in Eisenach gibt es das Klischee, die Eisenacher mögen ihr Theater nicht. Deshalb ist jede Statistik für mich immer ein wenig fragwürdig.

Sie haben Anfang des Jahres angekündigt, den Kammerspielen ein neues Konzept zu verpassen. Wann wird dieses sichtbar?

Gestern sind die neuen Tribünen fertig geworden. Der Zuschauerraum wird in Zukunft jedes Mal anders sein. Wir können die Tribünen nach Belieben verändern. Es wird ein bisschen so sein wie im "Georgi's Off" - nur größer und schöner. Wir eröffnen im Herbst mit dem Stück "The Effect". Dann wird man endlich auch durch die große, doppelflügelige Eingangstür in die Kammerspiele gehen, und nicht mehr über Fluchtwege.

Welche Inszenierung war für Sie die beste des Jahres?

Ach, man will das immer nicht sagen, weil man ja eitel ist. Ich mag natürlich meinen "Rigoletto" am liebsten, würde aber niemals sagen, dass das die beste Inszenierung ist. Ich finde, das war "Anya 17": Politisch wichtig und musikalisch ganz ungewöhnlich. Ich mag auch den "Rosenkavalier" - vor allem, weil wir drei Sänger haben, die ihn aus dem Ensemble bestreiten. Im Schauspiel finde ich "Rose Bernd" die beste Aufführung. Was Anne Rieckhof da leistete, war absolut großstädtisch.

Sie hat Meiningen ja nun in Richtung Coburg verlassen. Das Schauspielensemble steht vor einem Umbruch. Hat der Folgen?

Es wird einen radikalen Umbruch geben, aber das ist ganz normal, wenn ein Schauspieldirektor das Haus verlässt. Anne Rieckhof und Harald Schröpfer gehen nach Coburg, mein "Hamlet" nach Leipzig. Das heißt für uns ab Herbst, wieder neu anzufangen. "Blutsbrüder" hat viel versprechend zwei neue Hauptdarsteller gezeigt und "Phädra" wird im Herbst einen dritten zeigen. Für Anne Rieckhof habe ich leider noch keine Nachfolgerin gefunden. Einige Stücke sind dadurch abgespielt. Weil es diesen Umbruch gibt, werden wir im Herbst im Großen Haus auch eine Eisenacher Produktion zeigen, nämlich "Der Geizige" mit Heinz Rennhack in der Hauptrolle.

In die Spielzeit fiel der 100. Todestag Georgs II. Es gab Festveranstaltungen, ein Gastspiel aus Berlin. Welche Spuren hinterlässt das Georg-Jubeljahr am Theater?

Ich möchte, dass das Deutsche Theater im übernächsten Jahr wiederkommt. Ich möchte auch die Skepsis manches Zuschauers gegenüber russischen Autoren zerstreuen. Nachdem wir nun eine französische Spielzeit haben, wird die darauffolgende eine russische. Und da ist natürlich Georg II., der in Kiew, Moskau und Sankt Petersburg Theater hat spielen lassen, wieder aktuell. Ich denke an Autoren wie Ostrowksi, Gorki, Gogol oder Tschechow. Wir haben Georg II. bisher vor allem aus dem Blickwinkel des Regietheaters betrachtet, nun wollen wir ihn auch als künstlerischen Diplomaten sehen.

Ihre Kollegen Guy Montavon aus Erfurt und Hasko Weber aus Weimar haben unlängst mehr Geld für ihre Theater gefordert. Was tun Sie?

Das Meininger Theater ist gut ausgestattet und hat derzeit keine Forderungen nach Etaterhöhungen. Wir haben einen wunderbaren, einen elitären Vertrag. Das Land Thüringen hat die Freude und die Pflicht - und damit auch die Kosten zu tragen -, dieses Theater auch in Zukunft zu erhalten.

Gespräch: Peter Lauterbach