Wirtschaft "Nicht einfach nur den Berg schneller hochschießen"

Interview: mit Prof. Dr. Ulf Schlegelmilch, Orthopäde und Unfallchirurg, Suhl Quelle: Unbekannt

Fahrradfahren mit Motorunterstützung: Geht da nicht der Sinn des Trainings verloren? Mediziner Ulf Schlegelmilch spricht im Interview über die Vorteile von E-Bikes.

 
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Herr Professor Schlegelmilch, Fahrradfahren gilt als eine der gesündesten Sportarten. Wer in die Pedale tritt, trainiert Muskeln, Gelenke und das Herz-Kreislauf-System. Warum sollte ich mir das von dem Motor eines E-Bikes abnehmen lassen?

Was Sie sagen, ist grundsätzlich richtig. Viele Menschen sind aber nicht mehr so leistungsfähig, dass sie seitens des Herz-Kreislauf-Systems oder auch der Gelenke und Muskulatur große Strecken bewältigen können und entsprechende Anstiege schaffen. So ist es absolut sinnvoll, eine Unterstützung durch einen Elektromotor zu haben.

Für wen eignen sich E-Bikes überhaupt?

E-Bikes eignen sich in erster Linie als Trainingsmittel für Menschen, die gewisse Einschränkungen haben, eben vom Herz-Kreislauf-System oder von den Gelenken her. Beim Fahrradfahren generell kann man durch die sitzende Position die Gelenkbelastung erheblich reduzieren. Das Körpergewicht spielt plötzlich eine deutlich untergeordnete Rolle. Ich habe beim Fahrradfahren keine Scherkräfte auf das Kniegelenk, so dass es sich auch für Patienten eignet, die unter Arthrose im Hüft- oder Kniegelenk leiden. Wichtig ist, dass Fahrradfahren die Muskeln kräftigt.

Welche Effekte auf den Körper hat das Radeln mit dem E-Bike?

Auch Radeln auf dem E-Bike kräftigt die Muskulatur, wie ich schon sagte. Der Motor soll nur die Belastungsspitzen wegnehmen, was durchaus gut für die Gelenke ist. Und ich kann Blutdruckspitzen vermeiden, indem ich bei steilen Anstiegen die Elektrounterstützung dazunehme.

Es gibt ja E-Bikes, die bis 25 Stundenkilometer unterstützen und welche, die sogar bis auf 45 Stundenkilometer beschleunigen. Welchen Typ würden Sie empfehlen?

Ich würde zum sogenannten Pedelec raten. Das ist ein Fahrrad, das lediglich mit seinem Motor unterstützt, während ich selbst immer noch treten muss. Und das ist auf 25 Stundenkilometer begrenzt. Natürlich kann ich auch schneller fahren, aber nur, wenn ich die entsprechende Trittfrequenz aufbringe.

Anders sind sogenannte S-Pedelecs. Die werden wie Kleinkrafträder eingeordnet und können bis 45 Stundenkilometer fahren. Das würde ich nicht zum Gesundheitssport rechnen. Es gibt auch S-Pedelecs, die völlig selbstständig fahren. Die bezeichnet man dann, etwas sperrig, als Fahrräder mit Hilfsmotor. Gab es früher schon, allerdings mit Benzinmotor.

Wer nicht richtig auf dem Fahrrad sitzt, heißt es, der kann sich mehr schaden als nützen. Worauf ist denn zu achten?

Wichtig ist eine physiologische Sitzposition. Das heißt, der Vorbau darf nicht zu lang sein, dass man zu gestreckt sitzt. Denn wir reden ja übers Fahrradfahren zur Stabilisierung der Gesundheit und da spielt das eine Rolle. Wichtig ist auch, dass die Sattelposition gut eingestellt ist und die Rahmengröße für den Nutzer passt. Da kann ich mich im Fahrradgeschäft beraten lassen.

Worin sehen Sie den Vorteil von E-Bikes gegenüber normalen Fahrrädern?

Der entscheidende Vorteil liegt darin, dass sich der Aktionsradius bei nicht so leistungsfähigen Menschen erhöht - oder zumindest konstant bleibt, so dass sie weiterhin beispielsweise auf dem Rennsteig fahren können und dort die Anstiege dennoch gut schaffen. Das hat ja auch etwas mit Teilhabe am Leben zu tun, mit dem Aufrechterhalten von Beziehungen zu anderen Sportlern. Ich sehe den Elektromotor eigentlich als Teil einer Unterstützung und nicht dafür gedacht, dass man plötzlich schneller fahren kann - ganz im Gegenteil: Die Sturzgefahr steigt ja. Deswegen favorisiere ich auch die E-Bikes bis 25 Stundenkilometer.

Denn stellen Sie sich vor: Unberechenbar für alle Beteiligen kommt da ein Fahrrad mit 45 Stundenkilometern angeschossen, das auch im Verkehr gar nicht einkalkuliert ist. In dem Zusammenhang möchte ich noch deutlich machen, wie wichtig es ist, dass man einen Helm trägt. Ich möchte es fast Helmpflicht für alle Fahrradfahrer nennen. Das ist eine ganz wichtige Botschaft. Außerdem würde ich dazu raten, Handschuhe zu tragen. Gerade, wenn man im Gelände unterwegs ist.

Gesunden Menschen würden Sie aber statt dem E-Bike ein normales Fahrrad empfehlen?

Ja, da bin ich einfach gestrickt. Ich selbst fahre ein ganz klassisches Mountainbike ohne alles. Würde mir aber jederzeit, wenn ich nicht mehr so leistungsfähig bin, ein E-Bike kaufen. Es macht auch Sinn, über ein E-Bike als Transportmittel nachzudenken, also für den Weg ins Büro oder zur Arbeit, wenn man dort nicht völlig durchgeschwitzt ankommen möchte. Dadurch wird es auch ein Thema für jüngere Menschen. Aber ich sehe nicht das Argument im Vordergrund, einfach einen Berg schneller hochschießen zu wollen.

Interview: Alexandra Paulfranz

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