Sonneberg - Trotz ihres jugendlichen Alters und ihrer scheinbaren Unbeschwertheit blicken sie bereits auf ein bewegtes Leben zurück - acht Jungs, die sich in dieser Woche in der "Sonneberger outdoor inn Herberge" eingefunden haben. Sie allesamt sind Migranten und waren noch vor wenigen Jahren quer über den Globus verteilt. Acht Jungs, im Alter von zwölf bis 16 Jahren, aus acht unterschiedlichen Ländern. Sie stammen aus Venezuela, der Ukraine, Afghanistan, Syrien, dem Vietnam, Indien, Aserbaidschan und dem Irak. Und dennoch haben sie eines gemein: Sie leben mit ihren Familien seit wenigen Monaten in Thüringen und folgten einer Einladung des Friedrich-Bödecker-Kreises für Thüringen e.V. zu einer fünftägigen "Wer sind wir? - Werkstatt" nach Neufang, dem höchstgelegenen Stadtteil Sonnebergs.

Betreut wird die Gruppe dabei von Projektmanagerin Ellen Blumert und dem Schriftsteller Landolf Scherzer. "Vor zwei Jahren sind wir auf die Idee gekommen, dass es doch interessant wäre, zu sehen, wie sich Jungs aus unterschiedlichen Kulturen in ihrer neuen Heimat eingelebt haben, welche Ängste und Nöte es gibt, und was sie sich für die Zukunft wünschen", sagt Ellen Blumert.

Bereits seit Sonntag sind die acht jungen Männer in der "Sonneberger outdoor inn Herberge" untergebracht. Verständigungsprobleme gibt es allerdings keine. Im Gegenteil. Jeder beherrscht die deutsche Sprache - fast fehlerfrei und mitunter besser als so manch Einheimischer. Doch wie kommt das? "Mein Cousin wohnt seit 16 Jahren hier. Ich habe mir die Sprache durch Gespräche mit ihm angewöhnt", sagt der 14-jährige Saad Omar.

Der gebürtige Syrier lebt mit seiner Familie seit knapp neun Monaten in Nordhausen. Mit seiner neuen Heimat konnte er sich jedoch noch nicht wirklich anfreunden. "In meiner Klasse bin ich der einzige Ausländer. Da gibt es schon einige, die mich das spüren lassen." Keine leichte Situation für den jungen Saad. Dennoch: Bange machen gilt nicht. Seine größte Hoffnung setzt er in den Fußball: "Wenn mir alles zu viel wird, gehe ich einfach laufen oder spiele Fußball."

Die Mischung macht's

Vor allem der Sport gibt den acht Jugendlichen Hoffnung und Kraft. Und das wird auch in der Sonneberger Herberge gefördert. Während am morgen Lernspiele in der Gruppe sowie Einzelgespräche anstehen, wird der Nachmittag aktiv und unter freiem Himmel gestaltet. Ob ein Ausflug zum Königsee, Bogenschießen, gemütliches Beisammensein am Lagerfeuer oder das gemeinsame Spiel mit dem runden Leder: Über einen unzureichenden Mix aus Sport- und Kulturangeboten können sich die Zwölf- bis 16-Jährigen wahrlich nicht beschweren.

"Am ersten Tag durften wir gleich an die Kletterwand, das hat richtig Spaß gemacht", sagt Shabbit Mohibi, der seit neun Monaten in Saalfeld wohnt. Obwohl der zwölfjährige Afghane in der Gruppe als absoluter Spaßvogel gilt, verschlägt es ihm bei der Frage nach seiner alten Heimat die Sprache. Zu frisch, zu präsent scheint so manche Erinnerung.

"Ich führe mit jedem Kind ein Einzelgespräch durch. Schließlich geht es um die Individualität, also um die Geschichte des Einzelnen", sagt Landolf Scherzer. In knapp zweistündigen Gesprächen geht der renommierte Schriftsteller ganz persönlich und vertraulich auf die jungen Migranten ein. "Wir sprechen über die Vergangenheit, über die Gegenwart und die Zukunft."

Obwohl sich die Schüler erstmals am Sonntag getroffen und kennen gelernt haben, scheinen sich bereits feste Freundschaften entwickelt zu haben. "Sicherlich. Allerdings ist es nicht so, dass sich die Jungs sagen, wir sind alle Ausländer und deshalb halten wir zusammen. Auch in dieser Gruppe gibt es Animositäten", sagt Scherzer.

"Es sind eben ganz normale Jungs. Während sie tagsüber super mitmachen, haben wir Abends echt Probleme, sie ins Bett zu kriegen", verrät Ellen Blumert. Und Landolf Scherzer stimmt ihr zu. "Wir sind ja keine Erzieher. Von früh bis nachts auf die Jungs aufzupassen, ist wesentlich anstrengender, als ein Buch zu schreiben. Und beim Rumtoben spielt die Nationalität sowieso keine Rolle. Das habe ich schon gelernt", sagt der 71-Jährige mit einem kleinen Schmunzeln.

Ziel des Projektes ist die Erstellung einer Dokumentation. "Diese soll dann in erster Linie an die Schulen weitergegeben werden, auch um die Lehrer für die Befindlichkeiten ausländischer Schüler zu sensibilisieren", sagt Ellen Blumert. Ein Schritt in die richtige Richtung. Zu oft bleiben auch die Probleme ausländischer Schüler ungehört.

Wie beim 16-jährigen Elchan. "Er hat Angst, dass sein Deutsch zu schlecht ist. Er glaubt, dass andere ihn deshalb nicht respektieren", sagt Ellen Blumert. Doch verstecken braucht sich der gebürtige Aserbaidschaner nicht. Gleich vier Sprachen beherrscht Elchan und ist zudem ein begnadeter Breakdancer. Dennoch wird es etwas dauern, bis er sich wirklich in Thüringen eingelebt hat: "Ich lebe jetzt in Weimar. Die Stadt ist wirklich schön, und ich bin auch sehr kunstinteressiert. So richtig zu Hause fühle ich mich aber nicht."

Etwas wohler fühlt sich indessen Tung Nguyen Vu (12). Seit drei Jahren wohnt er mittlerweile in Thüringens Landeshauptstadt und spielt seitdem in der Jugend des Fußball-Drittligisten FC Rot-Weiß Erfurt. Und dennoch denkt der junge Vietnamese noch oft an seine Heimat: "Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dass die Kinder in meiner Heimat nicht mehr auf der Straße schlafen müssen."

Soziale Kontakte fehlen

Oftmals beschränken sich die sozialen Kontakte von Migranten auf den Sport und das Vereinsleben. Feste Freundschaften zu deutschen Kinder gibt es außerhalb dieser Konstrukte kaum. "Die Eltern der Kinder sitzen teilweise noch im Asylbewerberheim. Die Kinder mussten den Eltern übersetzen, was wir mit diesem Projekt überhaupt vorhaben, um letztlich ihre Genehmigung zu erhalten. Dass heißt, wir sind in Deutschland mit der Integration der Kinder oft weiter als mit der Integration der Eltern", sagt Landolf Scherzer.

Dass Integration durchaus Spaß machen kann, demonstrierten die acht aufgeweckten Jungen in den letzten fünf Tagen eindrucksvoll. "Es ist für uns kein Zwang hier zu sein. Wir haben einfach Spaß zusammen", waren sich die acht Weltenbummler einig. Eine bemerkenswerten Einstellung. Und wer weiß, vielleicht lässt sich manch einer von ihr anstecken. Denn in einer modernen Gesellschaft steht eines fest: Integration geht alle an.

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