Eigener Inhalt Himmel-Fahrt

Wolfgang Plank

Typischer Fall von Pech gehabt: Da kann der Angeber noch so lässig in seinem vollklimatisierten Dickschiff lümmeln - wenn die Sonne strahlt, ist Blech überm Kopf einfach uncool. Wer jetzt oben ohne unterwegs ist, hat einfach mehr vom Auto. Mehr Freiheit, mehr Spaß am Lenkrad, mehr Wind um die Nase. Verdeck runter, Brille rauf – und los geht die Reise zu den Anfängen des Automobils.

 
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Kurz nach Kutsche nämlich war Segeltuch der Wetterschutz der Wahl. Das feste Dach kam erst viel später. Und blieb, weil man stabiler bauen konnte. Fortan saß allenfalls der Chauffeur noch draußen, der Fahrgast hatte seine Zelle. Ein Segen bei Regen, Schnee oder eisiger Kälte. Aber eben nur dann. Wozu ein Deckel, wenn der Himmel
lacht?

Klar kann man offen kaufen. Wenn man denn kann. Aber schon da scheiden sich die Geister. Kopffreiheit aus dem Katalog ist das eine – der wahre Connaisseur bevorzugt Unbedachtes aus vergangenen Tagen. Auch wenn man sich mit einem betagten Freisitz die dunkle Seite des offenen Vergnügens einhandeln kann: klemmende Scharniere, undichtes Verdeck, Schimmel im Fußraum. Wer einmal offen gefahren ist, kommt entweder nie wieder davon los – oder ist bedient für den Rest seiner Tage.

Dem archaischen Offen-Fahrer sträuben sich bei moderner Perfektion ohnehin die zerzausten Haare. Ein Klappverdeck, womöglich von Hand betätigt, findet sich heutzutage im Segment der vorübergehend geschlossenen Gefährte allenfalls noch bei Kleinstwagen. Stattdessen falten sich dreilagige Deckengewölbe in Sekundenschnelle elektrisch in den Kofferraum und ebenso schnell wieder heraus, schirmen zuverlässig gegen den Lärm der Straße – und spezielle Streben halten es auch bei hohem Tempo noch in flatterfreier Form.

Und damit nicht genug: Wer im Automobilbau auf sich hält, liefert zum versenkbaren Dach gleich noch seitenweise Sonderausstattung. Schlaue Scheibenwischer zum Beispiel, deren Waschdüsen nur dann Flüssigkeit freigeben, wenn der Arm sich abwärts bewegt. Für die nahezu zugfreie Fahrt sind Abweiser vorne und Windschott hinten im Angebot – und wer’s ganz kommod schätzt, kann sich in den meisten Cabrios sogar per Kopfstützen-Gebläse einen warmen Luftschal um den Hals legen, Das mag dem Puristen ein Gräuel sein, verlängert aber für die eher Zartbesaiteten die Öffnungszeiten und macht die Obdachlosigkeit so angenehm wie möglich.

Da schwärmen hartgesottene Fahrer doch lieber von den Tagen, als man weit weniger luxuriös an die Luft gesetzt wurde. Als offen fahren noch Abenteuer war und der Weg das Ziel. Je kurviger, desto schöner. Ursprünglich eben, ungedämpft und ungeschützt. Jacke und Lederkappe – mehr war nicht.

So oder so haben Kenner auch heute noch Mütze, wahlweise Kopftuch dabei. Und selbstverständlich eine Sonnenbrille – schon wegen der Mücken. Vor allem aber, weil man mit offenem Verdeck stets unter verschärfter Beobachtung fährt. Nichts lässt sich hinter getönten Scheiben verstecken: keine nachlässige Kleidung, keine zerzausten Haare und nicht einmal Augenringe. Wer in die Offen-sive geht, sitzt eben auch in der Auslage.

Im täglichen Haugebrauch indes erweist sich das Cabrio gerne mal als ein klein wenig unpraktisch. Laderaum zählt bei Luftikussen eher nicht zur Kernkompetenz. Und mit dem kümmerlichen Platz, den das Faltdach im Origami-Zustand übriglässt, kommt man zwar für eine Spritztour am Wochenende aus, beim Großeinkauf aber wird’s dann schon schwierig.

Da lohnt sich doch der Gedanke, dem grauen Alltag in etwas Gemietetem zu entfliehen. Denn mal ehrlich: Gemessen an der Laufleistung sind Autos ohne verschweißtes Dach eher Steh- als Fahrzeuge. Und also bleibt man bei seinem praktischen Gefährt und gönnt sich Offenes auf Zeit. Eine Himmel-Fahrt zu Himmelfahrt zum Beispiel. Oder zu Pfingsten. Oder im Sommer. Oder immer mal wieder. Genießen – und gut.

Bleibt die Frage: Wohin am besten mit dem aufgeklappten Gefährt? Erste Adresse, selbstverständlich, die schier endlos gewundene Landstraße. Denn obdachlos bekommt die gepflegte Bogenfahrt noch mal einen ganz besonderen Reiz. Und ein nettes kleines Café für den Espresso zwischendurch ist meist auch schnell in der Nähe. Allerdings darf es gerne auch mal die Autobahn sein. Linke Spur, Vollgas – den Kopf mitten drin im schneidenden Fahrtwind. Für ein paar flotte Kilometer wenigstens. Pfeif’ auf die Frisur. Die Erinnerung hält länger.

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