Eigener Inhalt "Die Logik muss stimmen"

Andrea Herdegen

Seit 25 Jahren schreibt der Schweizer Martin Suter Bestseller.Sein neuester Roman handelt von einem rosa Elefanten. Ein Sonntagsgespräch überGentechnik und seine Liebe zum Realismus

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

So!: Herr Suter, wie würden Sie reagieren, wenn jetzt ein kleiner rosa Elefant durchs Zimmer laufen würde?

Martin Suter: Kommt darauf an, wie viel ich vorher getrunken habe. Wenn ich nüchtern wäre, wüsste ich, dass es sich um etwas gentechnisch Erzeugtes handelt. Wenn ich betrunken wäre, würde ich denken, ich sollte vielleicht ein bisschen bremsen.

Kurz & knapp
Martin Suter, geboren 1948 in Zürich, arbeitete bis 1991 als Werbetexter und Creative Director, bis er sich ausschließlich fürs Schreiben entschied. Seine oft preisgekrönten Romane und "Business Class"-Kolumnen sowie seine "Allmen"-Krimiserie sind auch international große Erfolge und wurden mehrfach verfilmt. Martin Suter ist der erfolgreichste lebende Schriftsteller der Schweiz. Er wohnt mit seiner Familie in Zürich.

So!: Wie sind Sie auf die Roman-Idee gekommen, einen kleinen rosa Elefanten durch Gentechnik zu erschaffen?

Suter: Das war gar nicht meine Idee. Das war die Idee eines Hirnforschers, Professor Jucker, der mir bei einem Alzheimer-Kongress in Tübingen so nebenbei gesagt hat, es wäre heute kein Problem, einen rosaroten kleinen Elefanten zu erschaffen. Das war vor mehr als zehn Jahren, aber es ist mir im Kopf geblieben.

So!: Und aus so einer Bemerkung wird dann ein Buch?

Suter: Ja, mit etwas Glück wird ein Buch daraus.

So!: Können Sie sich vorstellen, dass Sie – so wie die Figur Schoch im Buch – Ihr ganzes Leben darauf ausrichten, den Bedürfnissen dieses kleinen Wesens gerecht zu werden?

Suter: Wenn man Kinder hat, kann man sich das vorstellen, dass man sein ganzes Leben ausrichtet nach den Bedürfnissen von jemand anderem, doch, doch.

So!: Wie schafft es das niedliche Tier, dass sich nach und nach die Menschen in seiner Umgebung in verantwortungsvollere, liebenswertere Menschen verwandeln?

Suter: Es schafft es ja nicht bei allen. Aber natürlich kann es, wie alle kleinen schutzbedürftigen Wesen, diesen Instinkt in uns ansprechen, der uns kleine und schutzbedürftige Wesen beschützen lässt.

So!: Für "Elefant" haben Sie in der Obdachlosenszene recherchiert. Wie haben Sie das Vertrauen dieser Menschen gewonnen?

Suter: Das habe ich dadurch gewonnen, dass ich mit zwei ehemaligen Obdachlosen geleitete Führungen gemacht habe durch die Welt dieser Menschen. Sobald ich das Vertrauen meiner Guides hatte, hatte ich es – über sie – auch von den anderen.

So!: Sie mussten für Ihr Buch noch mehr recherchieren. Über Gentechnik. Über das Wesen und das Verhalten von Elefanten. Macht Ihnen die Recherche Spaß, bevor Sie ans Schreiben gehen?

Suter: Das macht Spaß. Es passiert mir immer, dass ich in so eine Geschichte hineinschlittere und dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dass ich das lernen muss. Zumindest, wenn es sich um Dinge dreht, von denen ich nichts verstehe – und das ist meistens so.

So!: Fühlen Sie sich im Unwahrscheinlichen, im Fantastischen beim Schreiben wohl?

Suter: Eigentlich nicht einmal so. Ich habe ganz gern den Realismus. Ich versuche, das Fantastische möglichst realistisch darzustellen. Es macht mir Spaß, wenn die Leser nicht mehr sicher sind: Gibt es das jetzt? Oder hat er das erfunden? Deswegen muss man genau recherchieren. Denn alles, was man nachprüfen kann, muss auch stimmen. In diesem Netz von Tatsachen kann man dann ganz gut ein paar Lügen auftischen.

So!: "Elefant" ist voller Spannung. Birgt die Realität – das Geschäft mit der Genmanipulation – einen vergleichbaren Zündstoff?

Martin Suter liest
(ausgewählte Termine)
14. März: München, Kammerspiele
23. März: Leipzig, Kongresshalle am Zoo
Suter: Der potenzielle Zündstoff in der Realität ist natürlich noch viel, viel größer. Ich habe versucht, auch durch die Wahl dieses Tierchens, das Thema möglichst possierlich darzustellen. In der Hoffnung, dass es einem dann doch noch ein bisschen kalt über den Rücken läuft. Aber natürlich: Das Potenzial dieser Techniken ist immens. Es ist das Potenzial, Gutes zu tun für die Menschheit, Krankheiten auszurotten, Organe herzustellen, ohne dass jemand dafür sein Leben lassen muss. Auf der anderen Seite: Wenn man eingreifen kann in die Erbmasse der Menschen, dann kann man natürlich auch Menschen nach eigenem Design und nach eigenen Qualitätskriterien herstellen. Das wäre ein sehr gefährlicher Aspekt.

So!: Wie schaffen Sie es, den Nerv der Zeit mit Ihren Geschichten treffen?

Suter: Das ist eigentlich nie der Plan. Ich kann es mir nur so erklären: Es liegt an meiner Liebe zum Realismus, dass man die Welt beschreibt, so wie sie ist. Dann tauchen diese Themen auf. Ich glaube, wenn man realistische Geschichten schreibt, trifft man den Nerv der Zeit, ob man will oder nicht.

So!: Entwickeln Ihre Protagonisten beim Schreiben ein Eigenleben?

Suter: Ja, das entwickeln die oft. Im Großen und Ganzen habe ich sie an der Kandare. Aber im Detail machen sie schon Dinge, die dann einfach passieren. Und die ich nicht korrigiere, weil ich oft denke: Ja, das wäre doch was; der könnte diese Macke haben oder dieses Hobby. Und dann folgt es wieder der Logik der Geschichte. Jede Geschichte hat eine eigene Logik, und ich weiß, dass diese Logik unbedingt stimmen muss, weil die Geschichte sonst nicht das ist, was die Angelsachsen "a satisfying read", ein befriedigendes Leseerlebnis, nennen. So etwas hasse ich auch als Leser, wenn alles am Schluss gar nicht aufgeht. So viel Disziplin erwarte ich von meinen Figuren schon.

So!: Wie lange feilen Sie an einem Satz?

Suter: Das kann ich zeitlich nicht sagen. Aber es ist selten, dass ein Satz so stehen bleibt, wie ich ihn zuerst hingeschrieben habe.

So!: Sind Sie auch ein begeisterter Leser?

Suter: Ich lese natürlich gern. Und ich würde gerne noch mehr lesen. Aber ich kann keine Romane lesen, während ich an einem Buch arbeite. Und ich arbeite oft an einem Buch. Deswegen lese ich heute sicher viel weniger als früher.

So!: Welche Bücher liegen zurzeit auf Ihrem Nachtisch?

Suter: Auf meinem Nachttisch liegen eigentlich die ungelesenen Sachen. Denn ich habe gemerkt: Die Zeiten, in denen ich ein Nachtleser war, sind langsam vorbei. Es passiert mir, dass ich einschlafe, sobald ich im Bett liege. (lacht)

So!: Dann frage ich anders: Was lesen Sie zurzeit?

Suter: Zurzeit lese ich tatsächlich wieder die Erzählungen von W. Somerset Maugham, die ich schon als Teenager – und später immer wieder – gelesen habe. All diese Südsee-Geschichten. Die sind wunderbar.

So!: Mögen Sie es, mit Ihren Lesern in Kontakt zu treten?

Suter: Bei Lesereisen den vielen Lesern zu begegnen und zu merken, dass man eine Saite hat anklingen lassen, dass sie die gleichen Bilder sehen, die ich auch sah, als ich das schrieb, das ist etwas Wunderbares. Dafür bin ich jedes Mal dankbar.

So!: Ist es für Sie ein glücklicher Moment, wenn Sie den letzten Satz eines Buches geschrieben haben?

Suter: Oh ja, diesen Moment feiere ich. (lacht) Das ist dann zwar noch nicht das Ende der Arbeit, aber es ist für mich eine wichtigere Etappe als der erste Satz.

Das Buch: "Elefant"

Ein Wesen, das die Menschen verzaubert: ein kleiner rosaroter Elefant, der in der Dunkelheit leuchtet. Plötzlich ist er da, in der Höhle des Obdachlosen Schoch, der dort seinen Schlafplatz hat. Wie das seltsame Geschöpf entstanden ist und woher es kommt, weiß nur einer: der Genforscher Roux. Er möchte daraus eine weltweite Sensation machen. Allerdings wurde es ihm entwendet.
Martin Suter: "Elefant" – erschienen im Diogenes Verlag, gebunden, 352 Seiten, 24 Euro.

Bilder